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Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie

Titel: Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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äußerte sich angeblich herablassend über die ›Amateurscharlatane‹, die der Gruppe weiter die Treue hielten.
    Da die Mitgliederzahl mit der Zeit immer weiter schrumpfte, verkündete Mr Twining schließlich, er werde die ›Zunft der Illusionisten‹, wie er den Zirkel nannte, auflösen und sich mehr um den Briefmarkenclub kümmern.
    Ich kann mich noch genau an das letzte Treffen erinnern. Es war an einem Abend im Frühherbst, das erste Treffen im neuen Jahr, als unversehens Bony auftauchte, breit grinsend, leutselig und übertrieben kameradschaftlich. Ich hatte ihn seit Ende des Schulhalbjahres nicht mehr gesehen, und jetzt kam er mir irgendwie wie ein Fremdkörper vor, viel zu raumgreifend für Mr Twinings kleines Zimmer.
    ›Sieh da, Bonepenny‹, begrüßte ihn Mr Twining, ›welch unverhoffte Freude. Was führt Sie denn in unsere bescheidenen Hallen?‹
    ›Meine Füße!‹, rief Bony, und die meisten von uns lachten.
    Dann ließ er seine Pose fallen. Von einem Augenblick auf den anderen war er wieder ganz Schuljunge, ehrerbietig und voller Bescheidenheit.
    ›Sagen Sie, Sir, ich habe die ganzen Ferien über darüber nachgedacht, ob Sie den Direx nicht dazu überreden könnten, uns mal diese komische Briefmarke zu zeigen.‹
    Mr Twinings Stirn legte sich in Falten. ›Diese komische Briefmarke , wie Sie sich auszudrücken belieben, gehört zu den Kronjuwelen der britischen Philatelie, und ich würde nie und
nimmer anregen, dass sie herausgeholt wird, nur damit ein frecher Taugenichts wie Sie sie begaffen kann.‹
    ›Aber Sir! Denken Sie doch an die Zukunft! Wenn wir Jungen eines Tages erwachsen sind … wenn wir selbst Familie haben …‹
    Wir anderen grinsten einander verlegen an und malten mit den Schuhspitzen Muster in den Teppich.
    ›Dann kommt es doch zu Szenen wie in Heinrich V., Sir‹, fuhr Bony fort, ›und jene Familien in Engelland werden einst verfluchen, dass sie nicht in Greyminster gewesen sind und einen Blick auf den berühmten Rächer von Ulster erhaschen durften! Ach bitte, Sir, bitte!‹
    ›Für Ihre Kühnheit haben Sie eine Eins plus verdient, Bonepenny, und für Ihre Verhohnepipelung von Shakespeare eine Kopfnuss. Andererseits...‹
    Wir sahen, dass sich Mr Twining erweichen ließ. Ein Ende seines Schnurrbartes hob sich kaum wahrnehmbar.
    ›Ach, bitte, Sir!‹, fielen wir nun alle ein.
    ›Na ja …‹, sagte Mr Twining.
    Und so kam es tatsächlich zustande. Mr Twining sprach mit Dr. Kissing, und dieser Ehrenmann, der sich gebauchpinselt fühlte, weil sich seine Schüler für seinen Schatz interessierten, stimmte bereitwillig zu. Die Besichtigung wurde für den darauffolgenden Samstagabend nach dem Gottesdienst angesetzt und sollte in den Wohnräumen des Rektors stattfinden. Die Einladung galt nur für Mitglieder des Briefmarkenclubs, und Mrs Kissing würde den Abend mit Kakao und Keksen krönen.
    Das Zimmer war völlig verqualmt. Bob Stanley, der mit Bony gekommen war, schmauchte hemmungslos einen dicken Sargnagel, und niemand schien sich daran zu stören. Obwohl die Oberstufler gewisse Vorrechte genossen, war es das erste Mal, dass ich miterlebte, wie sich einer von ihnen vor den Augen des Rektors einen Glimmstängel anzündete. Ich traf als
Letzter ein. Mr Twining hatte den Aschenbecher schon mit den Stummeln seiner Will’s-Gold-Flake-Zigaretten gefüllt, die er außerhalb des Klassenzimmers pausenlos qualmte.
    Dr. Kissing war, wie alle bedeutenden Schulleiter, kein unbegabter Selbstdarsteller. Er plauderte über dieses und jenes, über das Wetter, die Kricket-Ergebnisse, die Spenden der Ehemaligen, den besorgniserregenden Zustand der Fliesen im Anson House. Damit spannte er uns natürlich auf die Folter.
    Erst als wir alle kaum mehr an uns halten konnten, sagte er: ›Herrje, jetzt hätte ich beinahe vergessen, dass Sie ja hergekommen sind, um einen Blick auf meinen berühmten Papierschnipsel zu werfen.‹
    Inzwischen brodelten wir wie ein ganzes Zimmer voller Teekessel. Dr. Kissing ging zu seinem Wandsafe. Seine Finger huschten in einem komplizierten Tanz über die Drehknöpfe des Kombinationsschlosses.
    Es machte ein paarmal Klick , dann öffnete sich die schwere Tür. Dr. Kissing griff in den Safe und holte ein blechernes Zigarettenetui heraus. Ein ganz gewöhnliches Gold-Flake-Zigarettenetui! Das rief natürlich ein paar Lacher hervor, kann ich dir sagen. Ich überlegte unwillkürlich, ob er das verbeulte Ding wohl auch dem König präsentiert hatte.
    Ein Raunen ging durch

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