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Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag

Titel: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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konnte ihn so lange aufgehalten haben?
    »Vielleicht sucht er ja immer noch einen Automechaniker«, sagte ich. Mir fiel auf, dass die Haube des Austin wieder zugeklappt war.
    »Ach, wahrscheinlich hockt er irgendwo und schmollt«, sagte Nialla. »Das macht er ab und zu. Manchmal will er einfach seine Ruhe haben. Aber jetzt ist er schon seit Stunden weg. Dieter meint, er hätte ihn in diese Richtung gehen sehen.« Sie wies über ihre Schulter.
    Ich musterte den Gibbet Wood mit neu erwachtem Interesse.
    »Lass ihn in Ruhe, Flavia«, sagte Nialla warnend.
    Aber mir ging es gar nicht um Rupert.

    Ich stapfte am grasbewachsenen Feldrain entlang und hielt mich von den sprießenden Flachspflanzen fern. Es ging stetig bergauf. Für mich war es kein anstrengender Anstieg, für Rupert schon - für sein geschientes Bein musste es die reinste Tortur gewesen sein.
    Was um alles in der Welt hat diesen Mann dazu bewogen, wieder auf den Gibbet Hill hinaufzukraxeln? Hatte er etwa vor, Meg im Gestrüpp aufzuscheuchen und Niallas Schmetterlingsdose zurückzuverlangen? Oder schmollte er tatsächlich - wegen des blonden, gut aussehenden Dieters?
    Mir fielen noch etliche andere Gründe ein, aber letztendlich war keiner davon stichhaltig.
    Der Gibbet Wood saß wie eine grüne Mütze auf dem Gibbet Hill. Als ich näher kam und dann unter die ausladenden Äste des alten Waldes trat, hatte ich das Gefühl, ein Gemälde von Arthur Rackham zu betreten. Hier, im grünen Halbdunkel, roch es streng nach Verfall: nach Pilzen und modrigem Laub, nach schwarzer Humuserde, nach schmierigem Matsch und nach von Käfern zernagter morscher Rinde. Zwischen verfaulten Baumstümpfen hingen schimmernde Spinnweben wie winzige Gitter, unter den uralten Eichen und flechtenbewachsenen Weißbuchen spitzten Glockenblumen zwischen den Farnwedeln hervor, und auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung erblickte ich die gezackten Blätter des giftigen Waldbingelkrauts, das, wenn man es in Wasser taucht, ein prächtiges indigoblaues Gift absondert, welches ich durch simples Hinzufügen einer zweiprozentigen Salzsäurelösung einmal in eine leuchtend blutrote Flüssigkeit verwandelt hatte.
    Ich erfreute mich an der Vorstellung, wie das Ammoniak und die Amide, die der Kompost des Waldbodens absonderten, ein wahres Festmahl für die alles verschlingenden Schimmelarten darstellten, die das Ganze wiederum in Stickstoff verwandelten, den sie in ihrem Protoplasma speicherten, wo er
seinerseits von Bakterien aufgenommen wurde. Was für eine perfekte Welt - eine Welt, in der alles Lebendige ausnahmsweise einmal Hand in Hand arbeitete.
    Ich holte tief Luft, sog den säuerlichen Duft tief in die Lungen, schmeckte den chemischen Geruch des Verfalls.
    Aber ich war nicht hier, um angenehmen Gedanken nachzuhängen. Der Tag verstrich, und ich musste tiefer in den Gibbet Wood vordringen.
    Je länger ich zwischen den Bäumen dahinschritt, desto stiller wurde es. Inzwischen waren sogar die Vögel verstummt. Dieser Wald war, das wusste ich von Daffy, einst ein königliches Jagdrevier gewesen. Hier waren vor vielen hundert Jahren die Könige von England zur Eberjagd geritten. Später hatte der Schwarze Tod die meisten Einwohner des kleinen Dorfes, das am Waldsaum entstanden war, dahingerafft.
    Als es hoch über meinem Kopf auf einmal in den Blättern raschelte, lief es mir kalt den Rücken herunter, aber ich hätte nicht sagen können, ob nun gespensterhafte königliche Jäger oder die ruhelosen Geister der Pestopfer - die sicherlich hier irgendwo in der Nähe begraben lagen - dafür verantwortlich waren.
    Ich stolperte über eine kleine Erhebung und streckte Halt suchend die Arme aus. Ein verfaulter, bemooster Baumstumpf rettete mich vor dem Sturz in den Matsch.
    Als ich wieder einigermaßen aufrecht stand, sah ich, dass das Holz einst kantig, nicht rund gewesen war. Es handelte sich nicht um einen Baumstumpf, sondern um einen von Menschenhand bearbeiteten dicken Holzbalken, der so verwittert und zerfressen war, dass er wie eine große graue Koralle aussah. Oder wie ein versteinertes Gehirn.
    Mir dämmerte allmählich, was mein Unterbewusstes längst begriffen hatte: Ich hielt mich an den morschen Überresten des alten Galgens fest.
    An dieser Stelle war Robin Ingleby gestorben.

    Die Härchen auf meinen Oberarmen sträubten sich, als hätte jemand mit einem Eiszapfen darübergestrichen.
    Ich ließ den alten Balken los und machte einen Schritt zurück.
    Bis auf den groben Rahmen und

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