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Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag

Titel: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Glück hatte, kam ich noch rechtzeitig zum Tee. Es kam mir vor, als wäre ich die ganze Nacht aufgewesen.
    Wie spät war es überhaupt?
    Da brat mir doch einer’nen Storch! Tante Felicitys Zug sollte um fünf nach zehn am Bahnhof ankommen, und ich hatte sie ganz vergessen! Vater würde Strumpfhalter aus meinen Gedärmen machen!
    Selbst wenn Tante Felicity inzwischen noch nicht mit Schaum vor dem Mund auf dem Bahnsteig stand - wie in aller Welt sollte ich nach Doddingsley gelangen? Der Ort war gut sechs Meilen von der Culverhouse Farm entfernt, und zwar Luftlinie, und Flügel konnte ich mir auf die Schnelle gewiss nicht wachsen lassen.
    Ich rannte den Feldweg entlang und ließ die Arme wie Windmühlenflügel kreisen, als könnte ich damit mein Tempo steigern. Zum Glück ging es den ganzen Weg bergab, und unten sah ich schon Ruperts Kombi unter den Weiden stehen.
    Dieter hatte die Haube des Austin aufgeklappt und prokelte in dessen Innenleben herum, Nialla hängte ein Hemd zum
Trocknen übers Gebüsch. Gordon Ingleby war nirgendwo zu sehen, auch Sally Straw nicht.
    »Die erste Gelegenheit seit Langem, mal wieder die gute alte Kernseife zum Einsatz zu bringen«, sagte Nialla zu mir. »Dieter schaut sich den Motor an. Wo warst du denn so lange?«
    »Wie spät ist es?«, fragte ich eindringlich.
    »Keine Ahnung. Rupert ist der Einzige, der eine Uhr besitzt, und er hat sich irgendwohin verdrückt.«
    Wie immer. Sie sprach es nicht aus, aber die Worte standen so unüberhörbar zwischen uns, als hätte sie vom Big Ben heruntergebrüllt.
    »Dieter?«, fragte ich.
    Dieter schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Es war unsereinem so lange verboten gewesen, eine Uhr zu besitzen …«
    »Entschuldigung«, unterbrach ich ihn, »aber ich muss einen Zug erwischen!«
    Ehe einer von beiden darauf eingehen konnte, flitzte ich auch schon den Treidelpfad entlang. Auf dem alten Uferweg am Südrand des Ablassfeldes kam ich gut voran und sprang im Nu über die Trittsteine, die durch den Fluss zum Friedhof hinüberführten.
    Die Kirchturmuhr zeigte zwanzig vor vier, was völliger Blödsinn war. Das olle Ding war höchstwahrscheinlich schon zu Zeiten Heinrichs VIII. stehen geblieben, und seither hatte sich niemand darum gekümmert, sie wieder in Gang zu setzen.
    Gladys, mein braves BSA-Fahrrad, stand noch an der gleichen Stelle vor dem Gemeindesaal, wo ich es am Morgen abgestellt hatte. Ich schwang mich in den Sattel und radelte unverzüglich los nach Buckshaw.
    Als ich um die Ecke der Spindle Lane sauste, verkündete die Uhr über dem Eingang des Dreizehn Erpel , dass es entweder Punkt zwölf Uhr Mittag oder aber Mitternacht war. An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich ein ziemlich unanständiges Wort ausgestoßen habe.

    Außerhalb des Dorfes radelte ich wie der Wind in südwestlicher Richtung auf Buckshaw zu, bis ich endlich das Mulford-Tor erreicht hatte, wo Clarence Mundy auf dem Kotflügel seines Taxis hockte und wartete. Er sog wie ein Verdurstender an einer Zigarette, und nach dem schneeartigen Niederschlag zu seinen Füßen zu urteilen war es mit Sicherheit nicht die erste.
    »Hallo, Clarence«, rief ich. »Wie spät ist es?«
    Er warf einen prüfenden Blick auf seine komplizierte Militäruhr. »Höchste Eisenbahn! Steig mal lieber ein.«
    Ich saß noch nicht richtig, da legte er schon den ersten Gang ein, ließ die Kupplung schnalzen, und wir schossen davon wie eine Mondrakete.
    Auf den schmalen, von hohen Hecken gesäumten Landstraßen bearbeitete Clarence den Schaltknüppel wie ein Schlangenbeschwörer, der mit einer störrischen Kobra kämpft und ihren Kopf mal hierhin, mal dahin drückt. Draußen vor den Scheiben rauschte die Landschaft in immer undeutlicheren grünen Schlieren vorbei, bis ich am liebsten »Haruh, mein Prinz!« gebrüllt hätte - aber ich beherrschte mich.
    Im Krieg hatte Clarence die riesenhaften Sunderland-Flugboote geflogen und damit endlos über dem weiten Atlantik auf der Suche nach deutschen U-Booten patrouilliert, und als wir nun zwischen den herandrängenden Hecken dahinflogen, schien er wieder im Cockpit eines solchen Ungetüms zu sitzen. Ich rechnete jeden Augenblick damit, dass er das Steuerrad an sich ziehen und wir uns unversehens in die Lüfte erheben würden. Vielleicht würden wir bei unserem Aufstieg in den Sommerhimmel ja sogar einen Blick auf Harriet erhaschen.
    Bevor sie Vater geheiratet hatte, war Harriet eine eigene Havilland Gypsy Moth geflogen, die sie »Blithe Spirit« getauft hatte,

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