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Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag

Titel: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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eine kaputte Treppe war von dem Schafott kaum noch etwas übrig. Zeit und Witterung hatten die Plattform bis auf ein, zwei Bretter zerbröselt, sodass von der Plattform nurmehr ein skeletthafter Rest übrig war, der wie der Brustkorb eines toten Riesen aus dem Brombeergestrüpp herausragte.
    Da hörte ich die Stimmen.
    Wie schon erwähnt, habe ich ausnehmend gute Ohren, und als ich dort unter dem morschen Galgen stand, wurde mir bewusst, dass ich jemanden sprechen hörte, auch wenn die Betreffenden ein ganzes Stück entfernt waren.
    Ich legte die gewölbten Hände als behelfsmäßige Reflektoren an die Ohren und drehte mich einmal um die eigene Achse. So fand ich schnell heraus, dass die Stimmen von links kamen. Von einem Baum zum anderen schlich ich in die Richtung.
    Unvermittelt lichtete sich der Wald, und ich musste höllisch aufpassen, dass man mich nicht sah. Als ich hinter einer Esche hervorspähte, sah ich, dass ich am Rand einer großen Lichtung mitten im Gibbet Wood angelangt war.
    Hier hatte jemand einen richtigen Garten angelegt. Ein Mann mit zerbeultem Hut und in Arbeitskleidung hackte eifrig zwischen den in großzügigen Reihen gesetzten Pflanzen.
    »Sie schnüffeln überall herum«, sagte er zu jemandem, den ich nicht sehen konnte. »Hinter jedem Zaunpfosten … verstecken sich unter jeder verfluchten Heumiete.«
    Als er den Hut abnahm, um sich Gesicht und Schädel mit einem bunten Taschentuch abzuwischen, erkannte ich Gordon Ingleby.
    Die Lippen in seinem wettergegerbten Gesicht wiesen die
rotviolette Färbung auf, die laut Vater auf ein »sanguines Temperament« hinwiesen, und ich sah, dass er sich mit dem Tuch auch die Spucke abwischte, die seine Worte begleitet hatte.
    »Verstehe! Gott hat seine Augen überall«, erwiderte sein Gegenüber theatralisch. Ich erkannte Ruperts Tonfall sofort wieder.
    Rupert lag faul im Schatten unter einem Busch und rauchte eine Zigarette.
    Mir schlug das Herz bis zum Hals. Hatte er mich entdeckt?
    Am besten verhalte ich mich ganz still, dachte ich. Keine Bewegung. Wenn er mich entdeckt hat, kann ich immer noch behaupten, ich hätte ihn gesucht und mich wie Hänsel und Gretel im Wald verlaufen. Ausreden, die sich auf Märchen berufen, werden immer gern geglaubt; sie klingen immer irgendwie wahrhaftig.
    »Squire Morton war letzte Woche schon wieder da und hat Dieter jede Menge Unsinn erzählt. Dabei hat er in erster Linie herumspioniert.«
    »Du bist schlauer als sie alle zusammen, Gordon. Die haben doch Hühnermist im Hirn.«
    »Kann sein, kann auch nicht sein. Aber ich hab’s dir schon gesagt: Jetzt ist endgültig Schluss! Jetzt steigt Gordon ein für alle Mal aus.«
    »Und was soll aus mir werden, Gordon? Aus den anderen? Willst du uns etwa hängen lassen?«
    »Du Dreckskerl!«, brüllte Gordon, holte mit der Hacke aus wie mit einer Streitaxt und stapfte drohend ein paar Schritte auf Rupert zu. Mit einem Mal war er auf hundertachtzig.
    Rupert rappelte sich hoch und streckte abwehrend die Hand aus.
    »Das wollte ich nicht, Gord, ist mir bloß so rausgerutscht. Es ist nur eine Redensart.«
    »Nein, du hast einfach nicht mitgedacht! Du denkst nie mit. Du hast ja keine Ahnung, was ich für ein elendes Dasein friste!
Wie das ist, mit einer toten Frau zusammenzuleben und mit dem Geist eines erhängten Kindes.«
    Mit einer toten Frau? Sprach er von Mrs Ingleby?
    Wie auch immer, eines war klar: Hier unterhielten sich keineswegs zwei Männer, die sich an diesem Morgen zum ersten Mal begegnet waren. Es klang ganz danach, als seien Gordon und Rupert alte Bekannte.
    Sie standen sich eine Zeitlang gegenüber und funkelten sich wortlos an.
    »Ich mache mich am besten auf den Rückweg«, sagte Rupert schließlich. »Nialla macht sich bestimmt schon Sorgen.« Er überquerte die Lichtung und verschwand im Wald.
    Als er fort war, wischte sich Gordon wieder über das Gesicht. Ich sah, dass seine Hände zitterten, als er das Tabaksäckchen und ein Päckchen Zigarettenpapier aus der Hemdtasche zog. Er rollte sich hastig eine unförmige Zigarette und ließ dabei jede Menge Tabak auf die Erde fallen. Dann kramte er ein Messingfeuerzeug hervor, zündete die Zigarette an, inhalierte den Rauch mit tiefen, saugenden Lauten und atmete erst nach einer so langen Pause wieder aus, dass ich schon fürchtete, er würde ersticken.
    In erstaunlich kurzer Zeit hatte er aufgeraucht. Er trat den Stummel mit dem Stiefelabsatz in die Erde, schulterte seine Hacke und ging davon.
    Ich wartete ungefähr noch

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