Fleckenteufel (German Edition)

er ist gern alleine. Das Einfachste wäre, mich zu Peter Behrmann zu setzen, der beobachtet mich aus den Augenwinkeln und wartet nur drauf, aber da kann er lange warten, mit dem werde ich mich niemals zusammentun, das Kapitalistenschwein. Dann fällt mir noch der blonde Junge auf, der sich mit Susanne Bohne unterhalten hat und offenbar auch noch keinen Anschluss gefunden hat. Er hat strahlend blaue Augen, blonde Locken und schön geschwungene, volle Lippen. Es kann sich nur noch um eine Frage von Minuten handeln, bis der irgendwo unterkommt. Wer weiß, vielleicht kriegt er am Ende sogar Susanne Bohne ab. Aber das kann dauern, denn noch spielt sie mit ihrer Zeltgemeinschaft Karten, und so soll es bleiben, die Mädchen für sich und die Jungen für sich. Wenn ich sie nicht haben kann, soll sie niemand haben. Dieter Dorsch gibt’s gar nicht, der existiert nur noch auf dem Papier.
    Mich wundert sehr, dass Harald nicht allein geblieben ist. Er hockt drei Tische weiter mit anderen Hässlichen, sie spielen das dänische Spiel Labyrinth (ich glaube, es wurde in Dänemark erfunden, es kommen ja alle Spiele, die aus Holz sind, aus Dänemark oder wenigstens Skandinavien), bei dem es gilt, eine Kugel durch ein Labyrinth mit Löchern und Falltüren zu manövrieren. Um die Kugel durchzubugsieren, kann man die mobile Oberfläche mit Hilfe von seitlichen Drehknöpfen heben und senken oder wie das heißt, mein Gott, ich kann es nicht richtig erklären, kennt man doch, hat doch jeder irgendwann schon mal gespielt. Auf jeden Fall ein Geschicklichkeitsspiel. Die Hässlichen finden immer zueinander und spielen Geschicklichkeitsspiele, ausgerechnet Geschicklichkeitsspiele, obwohl sie nicht nur hässlich, sondern auch ungeschickt sind. Das ist die eigentliche Ungerechtigkeit im Leben: Es kommt immer alles zusammen.
    Bei mir ist das allerdings so eine Sache, ich bin weder noch. Wäre ich zwanzig Zentimeter größer, würde ich wahrscheinlich zum weniger hässlichen Teil der Menschheit zählen, aber so bin ich eigentlich noch gar nichts, unfertig, meine endgültige Einordnung erfolgt erst nach Abschluss des Wachstums. Aber wenn es bereits abgeschlossen ist? In einem halben Jahr werde ich siebzehn, meine Güte, siebzehn, kann ich mir nicht vorstellen, das kann sich kein Mensch vorstellen!
    Mit jeder Minute, die weiter sinnlos vergeht, schwinden meine Kräfte. Peter Behrmann lauert schon. Ich bin Außenseiter wider Willen, ein kalter Windzug, als hätte jemand die Klotür offen gelassen. Und das nur wegen des Volltreffers, das ist die einzige Erklärung, auf den Konfirmanden- und Jugendfreizeiten habe ich doch auch immer gleich Anschluss gefunden. Eine schöne christliche Gemeinschaft ist das! Bei den Landsern wäre niemand ausgeschlossen worden.
    Plötzlich kommt Bewegung in die Sache: Der blonde Schönling steht auf und geht zu Tiedemann rüber. Ein Wahnsinn. Man merkt sofort, dass sich da zwei gefunden haben. Sagenhaft, wie die Gemeinschaft zusammenwächst, man kann ihr richtig dabei zusehen. Ich müsste aufspringen und mich zu ihnen setzen, aber es geht nicht, ich bin wie gelähmt.

    «Thorsten?»
    Ich schaue mich um. Um Gottes willen, Pastor Schmidt!
    «Hast du Lust auf eine Partie Mühle?»
    Oneinoneinonein. Der Pastor lädt mich aus Mitleid zu einer Partie Mühle ein. Was soll ich bloß machen, ich kann ja schlecht nein sagen.
    «Mühle, ja weiß nicht, ja. Hab ich lange nicht mehr gespielt.»
    «Ach was, das verlernt man nicht, das ist wie Fahrradfahren und Schwimmen.»
    Wie kommt er denn jetzt ausgerechnet auf Schwimmen? Ob er den Schwindel etwa durchschaut hat? Ich glaube, Pastor Schmidt weiß mehr, als manchem lieb ist.
    «Soll ich mit dem Spiel zu dir kommen, oder kommst du zu uns?»
    «Ach so, wie Ihnen das am besten passt.»
    «Dann komm mal mit nach hinten.»
    Jetzt muss ich bei den Erwachsenen sitzen und mit Pastor Schmidt Mühle spielen. Der hat auch zu etwas anderem Lust, das sieht man richtig, obwohl er so tut, als wäre es die normalste Sache der Welt. Mühle ist ein Spiel, bei dem man nicht sprechen muss, wenn man nicht will. Wir sitzen uns gegenüber, keiner sagt einen Ton. Pastor Schmidt atmet durch die Nase. Ein und aus. Es klingt so, als habe er sehr viele Haare in der Nase. Raus gucken nur drei oder vier extralange Borsten. Nasenhaare rollen sich tage- und wochenlang innerlich zu Nasenhaarschnecken zusammen, bis es nicht mehr geht, und dann kommt das Haar herausgeschossen. Darum sind Nasenhaare auf einmal so lang.