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Fleckenteufel (German Edition)

Fleckenteufel (German Edition)

Titel: Fleckenteufel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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Hat mir mein Vater mal erklärt. Egal. Mal gewinnt der Pastor, mal gewinne ich. Vielleicht lässt er mich auch gewinnen, man weiß es nicht. Am fiesesten ist es, wenn er mich anschaut. Alle paar Minuten fixiert er mich ein paar endlose Sekunden lang, schweigend natürlich. Ich kann dem Blick nicht standhalten. Sein Blick spricht Bände. Er weiß Bescheid. Über alles. Vielleicht wartet er darauf, dass ich endlich gestehe. Pastor Schmidt guckt so, dass man sicher ist, etwas verbrochen zu haben. Aber würde man so denken, wenn man ein reines Gewissen hätte? Eben! Egal, ich kann nicht mehr.
    «Herr Schmidt?»
    «Ja, Thorsten?»
    «Ich bin ganz müde und würde schon mal gerne ins Zelt.»
    «Einverstanden. Dann gute Nacht und bis morgen.»
    «Danke. Ihnen auch. Gute Nacht.»
    Ist das furchtbar. Als ich rausgehe, werde ich nicht beachtet, ich bin Luft, mehr Luft geht nicht. Ich hätte mit irgendwelchen Blicken gerechnet, von mir aus strafend, böse, egal, Hauptsache Reaktionen , aber es kommt weniger als nichts. Ich fühle mich so elend wie nie zuvor in meinem Leben. Selbst Personen, die normalerweise weit unter mir stehen, sind unerreichbar, Gundula zum Beispiel. Unter anderen Umständen würde ich sie mit dem Arsch nicht angucken, aber jetzt möchte ich am liebsten ihr dickes, hässliches, geschwollenes Gesicht ablecken und das Veilchen küssen. Erstaunlich, wie schnell es abwärtsgehen kann.

    Ab morgen soll das Wetter besser werden. Tja, soll es, kann es, ohne mich. Ich halt es nicht mehr aus, ich hab hier nichts mehr verloren, es ist mehr, als ein einzelner Mensch ertragen kann. Ich fasse einen Entschluss: Morgen fahre ich nach Hause, mit dem Zug. Vierzig Mark habe ich mit, das reicht dicke für die Fahrkarte. Gleich nach dem Frühstück werde ich dem Pastor meine Entscheidung verkünden. Was soll er schon großartig machen? Zwingen hierzubleiben kann er mich ja schlecht. Das Scheißgeld können sie von mir aus behalten und Brot für die Welt spenden. Wahrscheinlich sind sowieso alle froh, mich los zu sein, dann kann die Freizeit endlich richtig beginnen.
    Ich lege mich in meinen Schlafsack und fange an zu wichsen. Alles wegwichsen. Wut, Enttäuschung, Trauer, Ärger und Hass verwandeln sich in Wichse, und die muss raus. Ich weiß, dass ich mich hinterher noch viel schlechter fühlen werde, aber das ist mir egal, wenigstens für ein paar Minuten Linderung, nur eine Sekunde des Glücks.
    «O Gott, Susanne, Susanne. Bitte. Bitte.»
    Ich verliere alle Hemmungen und röchel vor mich hin. Wenn jetzt die anderen kommen, bin ich endgültig geliefert. Vielleicht will ich das ja auch.
    «Ja, Susanne, komm. Bitte, Susanne, Susanne!»
    Ich drehe mich auf den Bauch und bumse die Matratze. Ich küsse und lecke das Kissen, also Susannes Gesicht. Jetzt habe ich sie beschmutzt, so weit ist es gekommen. Kurz vor dem Höhepunkt löst sich ein Furz, und augenblicklich riecht es nach allen Mahlzeiten, die ich intus habe: Hackbraten. Schlimme Augenwurst. Hagebuttentee. Margarine. Ich bestehe nur noch aus Scheiße, Wichse, Schweiß und Mundgeruch. Neinoneinonein, ist das alles schrecklich. Es ist echt schlimm, wie tief man sinken kann.
    «Ah, bitte, ja, bitte, komm.»
    Ich traue mich vor lauter Gestank nicht mehr, Susanne beim Namen anzusprechen. Endlich ist es so weit, ich wichse in den Sack und bleibe schwer atmend liegen. Erleichterung, vielleicht zwei Minuten, dann kehrt die Verzweiflung zurück. Ich schnüffel in den Schlafsack. Pups und Käsemauken und frische Wichse. Fünf Freunde im Pipikackawichsiland. Der Leib Gestein, verschlossen der Darm. Geröll. Staub. Asche. Teer. Asphalt. Beton.
    In der Nacht träume ich wild und wirr:
    Wir wohnen in einer weihnachtlich geschmückten Villa. Mein Vater hat sich im Keller eine Backstube eingerichtet, in der er Torten, Brote, Brötchen und Kuchen bäckt. Er kommt gar nicht mehr aus seiner Stube heraus.
    Ich sitze ganz oben, auf dem Dachboden, und friere.
    Am Ende des Bodens beginnt ein Gang, ich frage mich, wo der eigentlich hinführt.
    Ich helfe meiner Mutter beim Kartoffelschälen, das Messer ist riesig und fällt mir dauernd aus der Hand. Meine Oma und meine Schwester spazieren eingehakt wie ein Liebespaar durch die Küche. Sie küssen sich eklig auf den Mund.
    Plötzlich sitze ich mit Andreas im Gang. Wir würden nichts lieber tun, als ihn endlich zu erkunden, trauen uns aber nicht, weil er so dunkel und unheimlich ist. Wir bleiben am Eingang sitzen, rauchen Filterzigaretten und trinken

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