Fleckenteufel (German Edition)

TRÄNENSACK. Andere abstoßende Wörter: Warzenhöfe. Steißbein. Prostata. Harnsäure. Ich denke mir eine Produktwerbung gegen Tränensäcke aus.
    Haben auch Sie Probleme mit Ihren Tränensäcken? Hässliche Hauttaschen, die von Tag zu Tag größer werden und immer tiefer herunterhängen?
    Träumen Sie auch, Sie wachen auf und sind Derrick?
    Dann ist es Zeit, etwas dagegen zu tun!
    Zeit für die Augensackpumpe «Trainless» (Train wie Träne, die richtige englische Vokabel fällt mir nicht ein).
    Die kleine und handliche Pumpe lässt sich bequem überallhin mitnehmen, und Sie können Ihre Augensäcke problemlos abpumpen, im Zug, im Auto, beim Essen mit Freunden.
    Nie wieder Augensäcke und für immer schön!
    Mit der Augensackpumpe «Trainless».
    Endlich, der Abspann! Beim Aufstehen backe ich am Sessel fest. Haha, voll in ein Kaugummi gesetzt, witzig.

    Heiko schlägt vor, noch in die Eisdiele zu gehen, Tiedemann will unbedingt zurück. Nach Hause, sagt er. Kaum ist man irgendwo länger als einen Tag, ist es gleich das neue Zuhause. Aus Fairnessgründen gehen wir mit Tiedemann zurück; er war schließlich auch gegen seinen Willen im Kino. Vielleicht schaffen wir es pünktlich zur Badezeit. Ich will zwar nicht schwimmen, halte es aber aus irgendwelchen Gründen trotzdem für eine gute Idee, zur Badezeit wieder zurück im Lager zu sein. Im Lager, denke ich, genau.
    Auf dem Rückweg reden wir kein Wort, die Vorstellung hat uns endgültig verstummen lassen. Vielleicht ist das ja doch kein Quatsch mit dem Film im Film. Ein Film im Film im Film. Ein Film im Film im Film im Film. Ein Film im Film im Film im Film im Film. Mir wird ganz schwummerig, ich denke an Russenholzmamifiguren, die man aufschrauben kann, und dann kommt die Russenmami und dann noch eine und noch eine und noch eine, bis in alle Ewigkeit. Meine Güte! Ich muss schon wieder kacken, obwohl ich nichts gegessen habe. Das ist genau das entgegengesetzte Extrem, ich beginne mich selbst zu verdauen. Mir ist zufällig der dazugehörige Fachbegriff bekannt: Morpholomie, die Angst, sich selbst zu verdauen. Ich bin so erledigt, dass ich mich ins Bett lege und die Badezeit verpenne.
    Abendandacht (Peter Edam): Jesus ist größer als du.
    Ich habe richtig Hunger, keinen Appetit, sondern Hunger. Bei Appetit läuft einem nur das Wasser im Munde zusammen, bei richtigem Hunger schreit jede Pore und Zelle des Körpers nach Nahrung.
    Körper: «Hölfe, hölfe, ich hab so Hunger!»
    Frau Thieß: «Hier, kriegst schön Graubrot, Schwarzbrot, Margarine, schlimme Augenwurst, Mettwurst, Scheiblettenkäse, Sülze und Hagebuttentee.»
    Körper: «Ach ja, danke.»
    Detlef ist nicht auf seinem Platz. Der Salzige fehlt, denke ich, vielleicht hat er einen Schock, einen Salzschock. Salzschock, den muss ich unbedingt bringen:
    «Ey, Leute, hat jemand DEN SALZIGEN gesehen?»
    Sofortiges hysterisches Gebrülle und Gejohle.
    Ich wieder: «Der kommt heute nicht zum Essen. Salzschock!» Hysterisches Gelächter.
    Als ob er’s gehört hätte, kommt Detlef an seinen Platz geschlichen: Er wollte wohl extra unauffällig später kommen, damit es nicht gleich wieder losgeht. Falsch gedacht, SALZIGER! Sofort werden sämtliche verfügbaren Salzfässchen um seinen Platz herum drapiert. Das Gelächter kennt jetzt schon keine Grenzen.
    «Ey, SALZIGER, was zu trinken?»
    «Hol ihm ma einer ein Glas Salzwasser!»
    Hysterisches Gelächter.
    Atemnot, Krämpfe, Einpissen. Sagenhaft, was hier im Gange ist. Pastor Schmidt reicht es. Er kommt angestiefelt, um nach dem Rechten zu schauen.
    «Was ist denn hier eigentlich los? Darf man mitlachen?»
    «Ach, nichts weiter, die salzige Seeluft macht lustig.»
    Hysterisches Gelächter.
    Selbst der Pastor hat dem Dammbruch nichts entgegenzusetzen. Kopfschüttelnd kehrt er an seinen Platz zurück. Wenn der wüsste!
    Detlef ist bleich wie sonst was und pult die Rinde von einer Scheibe Graubrot.
    «Zu fad? Nachsalzen!»
    Hysterisches Gelächter.
    Auweia, jetzt hat es ihn erwischt, ich hab’s die ganze Zeit gewusst.
    Abends bleibt Detlef im Zelt. Wahrscheinlich hofft er, dass sich die Lage entspannt und morgen wieder alles beim Alten ist. Kann ich mir nicht vorstellen.
    Roland will trotz Verbots unbedingt zu den Weibern rüber, aber da hat er die Rechnung ohne den dummen Peter gemacht: Der Gemeindehelfer sitzt, eingehüllt in eine Pferdedecke und bewaffnet mit einer mannsgroßen Stabtaschenlampe Marke Bundeswehr, auf den Stufen der Baracke, entschlossen, einen erneuten