Fleckenteufel (German Edition)
wird sein Händedruck fester. Ich mustere ihn unauffällig, er singt laut auf Phantasieenglisch und ist ganz gerührt. Ernsthaft gerührt. Ich drücke seine Hand. So viel verdorbenes Leben steckt in ihm, aber das macht gerade mal nix. Ich kann meinen Blick nicht abwenden von seinem lückenhaften Gebiss, den aus den Ohren sprießenden Haaren, der braunen, faltigen Hornhaut und der blutigen Ritze am Scheitel.
Auch er war irgendwann mal ein Kind Gottes.
Peter gibt wirklich alles, seine Augen glühen wie Kohlen, und er singt so laut, dass man es in der ganzen Welt hört. DEEP IN MY HEART, I DO BELIEVE. Ich atme tief ein, und es kommt mir so vor, als hätte ich mehr Blut in den Adern als vorgesehen. Meer, Holz, Salz, Mücken, verbranntes Stockbrot und dieser einzigartige Zusatzgeruch, mir pullern Tränen übers Gesicht. Ja, denke ich wieder, so ist es, wenn die Liebe Einzug hält auf Erden.
Ich weiß, dass vieles von dem, was ich gerade empfinde, Quatsch ist und reingesteigert und alles Mögliche, trotzdem ist ein kleiner Teil wahr. Ich spüre, dass ich so etwas wahrscheinlich nie wieder erleben werde, dass, wenn ich irgendwann erwachsen bin, sich mein Herz verschließen wird und ich mich mit der Erinnerung an die paar glücklichen Augenblicke von Kindheit und Jugend begnügen muss. Ich weiß, dass ich recht habe.
We shall overcome some day.
Peter schnallt seine Gitarre ab. Das wird wieder eine harte Nacht für ihn, denn nach einer kurzen Verschnaufpause heißt es mit der Stabtaschenlampe ab zum Scheißhaus und bis morgens um vier den Zeltplatz ausleuchten.
Das Massaker
O du fröhliche.
REISE, REISE!
Der Countdown läuft, drei Tage noch.
Da es wieder so heiß wie gestern werden soll, beraumt die Lagerleitung kurz entschlossen einen weiteren Badetag an. Detlef geht es gar nicht gut. Angeblich hat er die ganze Nacht gejammert. Ich habe nichts mitgekriegt, weil ich geschlafen habe wie ein Stein. Eines der wenigen Probleme, das ich nicht habe: Schlafstörungen. Für Detlef ist es sicher furchtbar, mit Verbrennungen tausendsten Grades das klamme Zelt hüten zu müssen. Andererseits: einem versalzenen Schicksal entronnen. Die Hatz hätte nicht aufgehört, und am Ende hätten sie ein mannsgroßes Salzfass gezimmert und samt Detlef in der Ostsee versenkt. Dann doch lieber bis auf die Knochen verbrannt, da wird man wenigstens von allen bedauert. Wie man’s dreht und wendet, es ist echt noch bitter für ihn geworden, genau wie ich es vorausgesagt habe.
Latsch latsch, watschel watschel, schlender schlender, walz walz, die Erde saugt schmatzend an meinen Füßen.
Der Himmel ist hoch und gnadenlos.
Nur noch ein paar mit Regen gefüllte Schlaglöcher erinnern an den Dauerregen der vergangenen Tage.
Regenwürmer vertrocknen beim Überqueren des Weges.
Usw.
Das drei viertel fertige Dach von Haus Seemöwe gleißt in der Sonne, die Dachdecker präsentieren selbstverliebt ihre Traumkörper und machen wie gehabt unflätige Bemerkungen:
Dachdecker 1: «Ach, da sind ja die kleinen Ärsche wieder. Wo wollt ihr denn drauflos?»
Die Mädchen huschen ängstlich vorbei. Katrin versucht sich wegzuducken, geht nicht, ihre Glocken sind im Weg.
Dachdecker 2: «Ey, er hat was gefragt. Bleibt mal stehen, wenn Erwachsene mit euch reden.»
Dachdecker 1: «Die Titten von der Roten sind nochmal dicker geworden, harharhar.»
Die arme Katrin, davon erholt sie sich nie mehr.
Am Streberstrand ist es heiß und still. Mich wundert, dass außer uns nur so wenig Leute hier sind, egal, mir soll’s recht sein. Petra und Roland verschwinden sofort in der Steilküste, der große Rest lässt sich von der erbarmungslosen Augustsonne verbrennen.
Susanne geht schwimmen, ganz allein. Es sieht zwar immer noch scharf aus, wie sie ihre Riesenglocken abkühlt, aber irgendwas ist anders. Auf unerklärliche Art hat sie einen Teil ihrer Ausstrahlung eingebüßt. Vielleicht kommt mir das auch nur so vor, weil ich innerlich mit ihr abgeschlossen habe. Irgendwie leide ich nicht mehr unter ihrer Schönheit. Oder bilde ich mir das nur ein? Man weiß es alles nicht. In drei Tagen ist die Freizeit vorbei, vielleicht hat sie ja auch Angst davor, zu Hause sofort wieder von Dieter Dorsch und dessen Wohnung und Ford Taunus und Fuchsschwanz und Pumpenschwengel in Empfang genommen zu werden.
Auch der Glanz von Tiedemann ist irgendwie verblasst. Hinter seinem zu großen Pfeffer-und-Salz-Mantel steckt einfach nichts, der Mantel behauptet etwas, was Tiedemann nicht
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