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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ruland
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7a ist in erregter Erwartung. Sogar Balduin ist plötzlich von dieser Stimmung erfaßt. Es ist hauptsächlich Neugierde bei ihm. Neugierde auf den jungen Mann, den Emmas Freundin der Familie herzlich empfohlen hat.
    Klothilde sitzt schon am Klavier. Ganz hingebungsvoll drückt sie mit ihren dicklich-patschigen Fingern die Tasten und fragt das Klavier nach der letzten Rose, die so einsam erblüht. „Letzte Rose“: das hat ihr damals so gut gefallen, als sie die Oper „Martha“ hörte. Sie hat es geübt, das Lied, sie hat es sogar zu singen versucht.
    „Aber, Kind, das Lied ist doch jetzt zu traurig! Das klingt nach Herbst, nach... „
    Klothilde versteht. Klothilde spielt nicht mehr. „Ja, Mama, du hast recht!“
    Klothilde versucht sich an einem süßen Tango. An dem einzigen, den sie kennt. An dem einzigen Schlager, mit dem sie je ihre klassische Musik verraten hat. Jetzt darf sie es tun. Schlager können so schön von Liebe sprechen... Und Klothilde spielt „Ein Tag ohne dich...“
    Muß Liebe schön sein... Klothilde entschwebt den irdischen Fesseln und hebt sich empor in wundersame Höhen, wo man immer nur lächelt, immer nur schwärmt, immer nur so glücklich ist wie Klothilde in diesen Augenblicken. Aber schon nach der sechsten oder siebenten Zeile fällt sie jäh zurück in die Wirklichkeit.
    „Aber, mein Kind, auch das ist nicht das richtige, um deinen künftigen Bräutigam zu empfangen!“ Emma nimmt die Finger Klothildes von den Tasten weg. Es geht also doch ohne diesen Tango. Klothilde sieht Mama verständnisvoll an.
    „Ja, Mama!“

Nun haben die Rosen umsonst geblüht

    Balduin geht bedeutsam und gewichtig im Zimmer auf und ab. Jeder Schritt schlägt hart auf, wird aber aufgefangen von dem dicken Teppich und in seinem Auftritt gedämpft.
    Klothilde spielt wieder. Nun hat sie das Richtige gefunden. Weshalb nicht gleich so? Das „Gebet einer Jungfrau“ zwingt zu Andacht und Hingebung. Und wie das Kind spielt! Emma sieht schon den Sieg, erblickt ein glückliches Paar. Vor ihr lacht schon ein lieber Schwiegersohn, über ihr hängt der Himmel voller Geigen, und da... und da... Es schellt! Es schellt!
    Emma ist aus ihrem Höhenflug gerissen.
    „Kind, spiele weiter! Balduin, vor das Bild!“ Emma stürzt in ihren Sessel.
    „So, meine Stickerei... Balduin, noch etwas zurücktreten... Noch ein klein wenig — — so! Ach, da fällt mir schon die Nadel!“
    Emma ist in ihre Stickerei vertieft.
    Klothilde spielt und spielt.
    Balduin spricht mit dem Bild, das er betrachten muß.
    Jetzt geht die Haustüre auf.
    Jetzt wird er „Guten Tag!“ sagen.
    Jetzt reicht er Christinchen den Hut. Oder zuerst Blumen? Sicher hat er doch Blumen mitgebracht... Ob er auch einen Stock mit sich führt? Emma sieht alles im Geiste vor sich. Emma erlebt alles mit.
    „Balduin, halte dich gerade!“
    Jetzt wird er den Sitz seines Anzuges prüfen.
    Ob er zuerst seine Visitenkarte abgibt?
    Jetzt wird er die drei Stufen zur Diele heraufkommen.
    „Balduin, den Kopf etwas mehr zum Bild hin!“ Jetzt wird er...
    Klothilde spielt und spielt.
    Jetzt wird er vor der Türe sein.
    Schritte.
    Da sagt einer: „Danke schön!“
    Jetzt wird...
    Da klopft es.
    Jetzt...
    „Herein!“
    Emma jauchzt es.
    Die Türe knarrt. Christinchen öffnet sie. Läßt die Hand an der Klinke und den Gast an sich vorbei. Emma springt auf.
    Klothilde spielt immer noch.
    Balduin betrachtet weiter.
    „Guten Tag, Herr Doktor! Wir freuen uns, daß Sie gekommen sind! Wir freuen uns so...“
    Klothilde spielt nicht mehr.
    Balduin betrachtet nicht mehr.
    Das Kind hat sich schüchtern erhoben.
    Balduin schrickt zusammen, als er den Herrn Doktor sieht. Balduin läuft rot an. Seine Härchen sträuben sich. Aber er bewahrt Haltung.
    „Gnädige Frau...“
    Der gnädigen Frau wird die Hand geküßt. Von dem jungen Mann, der eigentlich gar nicht mehr jung ist. Sein hoher Stehkragen glänzt. Eine kleine Krawatte ertrinkt darin. Der Zwicker des nicht mehr jungen Mannes sitzt peinlich genau auf der Nase. Der Besucher scheint etwas schüchtern zu sein. Aber Klothilde ist kühn. Klothilde ist schon in Reichweite von Mama.
    „Herr Doktor“ — Emma strahlt, ihre Seidenbluse rauscht — „Herr Doktor, das ist meine Tochter, meine Klothilde...“
    Die Tochter reicht die Hand und wird rot. Der nicht mehr junge Mann reicht die Hand und wird nicht rot und macht eine korrekte Verbeugung. Balduins Härchen sind nun ganz gesträubt. Wenn der Herr Doktor ihn jetzt sieht...
    „Das

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