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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ruland
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eine.
    Frau Emma ist wirklich zufrieden. Um einen letzten prüfenden Blick auf den Tisch zu werfen, der zugleich die feierliche Krönung des Werkes bilden soll, zieht sie ihre Lorgnette. Frau Emma hat getan, was sie tun konnte. Nun muß das Schicksal sprechen.
    Die Türe geht auf. Frau Emma schickt sich an, nach vorne, in den kleinen Hausflur, zu stürmen, um den Gast zu empfangen. Aber der Gast ist nicht da. Doch etwas, was hauptsächlich für ihn bestimmt ist und nur seinetwegen kam.
    „Danke auch schön!“ sagt Christinchen und kommt mit einem großen weißen Etwas heran. Das weiße Etwas verdient äußerste Vorsicht. Wenn Christinchen es fallen läßt, sind die Folgen nicht auszudenken. Emma nimmt Christinchen die Kostbarkeit aus der Hand, geht damit zur Küche.
    Auf dem Küchentisch wartet eine große Porzellanplatte. Emma streift das weiße Papier der kostbaren Last ab — oh, ihr läuft schon das Wasser im Munde zusammen. Feine Gebäckstücke, die man im Rheinland „Teilchen“ nennt, liegen da vor ihr. Butterkremtörtchen, Obsttörtchen. Eine leckere Herrlichkeit. Frau Emma sortiert sie auf die Porzellanplatte. Siebzehn feine Teilchen. Emma rechnet. Dann kann also jeder vier, das heißt, einer von uns kann sogar fünf Teilchen essen. Balduin darf es auf keinen Fall. Frau Emma bringt die Schüssel mit den siebzehn
    Teilchen in das Zimmer. Der Platz für diese Schüssel ist schon genau auf dem Tisch festgelegt. Emma braucht sie nur dorthin zu setzen.
    Emma macht ein paar tänzelnde Schritte um den Tisch. Sieht auf ihre Armbanduhr. Erst fünf Minuten nach halb vier Uhr? Dann bleibt noch eine halbe Stunde Zeit. Aber was ist schon eine halbe Stunde, wenn noch irgendwo etwas nicht in Ordnung sein sollte...?
    Mit dem Kaffee weiß Christinchen genau Bescheid. Mit der Milch, das ist auch in Ordnung. Dreißig Minuten nach Beginn der bedeutungsvollen Zusammenkunft muß Christinchen fragen kommen, ob noch Kaffee nötig sei. Nach einer weiteren halben Stunde muß Christinchen melden, daß eine Dame geschellt habe und frage, ob Frau Studienrat sich am nächsten Wohltätigkeitsfest beteilige.
    „Aber selbstverständlich, Christinchen, das wissen Sie doch!“ wird Emma dann sagen, und ein neuer Gesprächsstoff ist da: Wohltätigkeit; Laster des Alkohols, das so viel Unglück mit sich bringt und viele andere gute Menschen zu Wohltätern werden läßt. Emma denkt an alles... Sehen Sie, Herr Doktor... Doktor werde ich auf jeden Fall zu ihm sagen, auch wenn er es nicht ist, das macht Eindruck, zeigt zudem, daß wir gewohnt sind, in ersten und Doktorenkreisen zu verkehren.
    Sehen Sie, Herr Doktor, werde ich sagen, ich bin natürlich auch... werde ich sagen, ich bin natürlich auch der Ansicht, daß man den Alkohol bekämpfen muß... werde ich sagen, und dann werde ich fortfahren... ach, das wird sich schon alles noch finden! Auf jeden Fall muß Christinchen das Stichwort geben: die Frage der Dame melden.
    Wo Balduin nur wieder bleibt! Ich werde einmal nach ihm sehen müssen. Wenn er bloß keine Dummheiten macht und Unüberlegtheiten sagt. Balduin sitzt in seinem kleinen Arbeitszimmer und ist sehr schlechter Laune. Der Plan seiner Frau behagt ihm noch immer nicht. Jetzt dieser Kaffee! Dazu soll er sich anständig benehmen und nicht vom Alkohol sprechen! Wozu nur dieses Theater? Balduin weiß es nicht. Er denkt auch nicht darüber nach. Wozu auch? Da e r nun einmal der Herr im Hause ist, geschieht doch stets das, was Frau Emma will. Balduin hat sich eben eine Zigarre angesteckt. Er bläst den Rauch ganz gelassen aus. Er versucht, feine Ringelchen in die Luft zu pusten. Gerade hätte es beinahe geklappt, aber da geht die Türe auf:
    »Balduin, du rauchst?“
    Emma merkt auch alles.
    Balduin nimmt eben einen ganz bedächtigen Zug. Den ganzen Nachmittag soll er nicht rauchen — wer wird es ihm verdenken, daß er die Zeit bis zur Ankunft des Besuches dazu benutzt, noch ein letztes Mal dem dampfenden Laster zu verfallen? Balduin hat seinen schwarzen Anzug anziehen müssen — auf höheren Befehl. Er hat die Pflaster ganz aus dem Gesicht entfernt — ebenfalls auf höheren Befehl. Er hat seine beste Krawatte anziehen müssen, die nicht etwa fertig gebunden ist wie seine anderen, sondern erst mit viel Mühe zu einem formgerechten Knoten geschlungen werden muß — auch das auf höheren Befehl.
    Balduins Gedanken sind, weiß Gott, nicht beim schwarzen Anzug oder beim gesitteten Kaffeetisch. Er hat sie auf die Reise nach Rebenheim

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