Flegeljahre am Rhein
geschickt. Morgen wird er es nachholen, das wollen wir doch mal sehen. Der Emma werden wir schon zeigen, wer Herr im Hause ist.
„Ich verstehe dich nicht, Balduin.“ Emma sieht entrüstet, daß schon ein ganzer Zentimeter Asche an der Zigarre hängt. „Ich verstehe dich wirklich nicht!“
Das macht nichts. Balduins Plan ist gefaßt. Wenn Emma noch viel sagt, dann soll sie etwas erleben, dann soll sie...
„Du machst die Zigarre aus! Wenn unser Gast dein Arbeitszimmer sehen möchte, riecht es hier nach Rauch!“
Wenn Emma wirklich noch viel sagt, dann...
Ihr Sinn schaltet sich um auf Diplomatie. Besser ist besser:
„Ich b i t t e dich, Balduin, rauche jetzt nicht. Heute abend kannst du ja alles nachholen... „
Er klopft gerade die Asche ab.
„Wenn du meinst...“
Er legt die Zigarre in den Aschenbecher und geht ein paar Schritte auf und ab. Er sieht, daß Emma ihm etwas sagen will. Ja, ja, er weiß schon... Wenn es schellt, soll er sich vor das große Bild im „guten Zimmer“ stellen, er soll aber nicht den Kaffeetisch betrachten, sondern andächtig das große Bild bewundern. „Der Herr Doktor liebt Bilder so sehr, habe ich gehört...“ hat Emma ihm gesagt. Ja, ja, er weiß, daß er dann und daß er später und daß er danach... Emma hat es ihm gut eingetrichtert.
Diese Frauen, diese Frauen! Da kann Balduin nur den Kopf schütteln. Bald ist es vier Uhr. Die Stunde ist nah, und Rebenheim liegt weit. Der Stuhl im „Tapferen Schneiderlein“ steht leer und verlassen, aber Emmas Kopf ist voller Ideen: „Balduin, du mußt betonen, daß du Erdkunde-Studienrat bist. Du weißt ja, der junge Gelehrte ist Geologe. Ihr werdet euch geistig gleich verwandt fühlen. Ahnst du, wie sich das auf das Glück unseres Kindes auswirken kann?“
Balduin ahnt gar nichts. Um Emmas Mund aber spielt ein Lächeln. In ihren Augen schimmert Hoffnung.
„Balduin, du weißt also alles?“
„Natürlich.“
„Aber warum sagst du es denn nicht?“
Emma möchte sich doch noch einmal vergewissern, daß alles, daß auch wirklich alles wie am Schnürchen klappt und eigentlich kein Grund vorhanden ist, heute abend nicht gleich eine Verlobung zu feiern.
„Wenn nun aber...“
Balduin kommt nicht weiter.
„Es gibt kein Wenn, es gibt kein Aber!“
Emma hat gesprochen und das Zimmer schon verlassen. Sie muß noch einmal nach dem Kind sehen. Nein, diese Aufregung! Und die Männer nehmen das alles so leicht! Unverantwortlich, unverantwortlich. Emma hat noch nicht zu Ende gedacht, da hat sie die Treppe zur ersten Etage schon überwunden und ist im Zimmer ihrer Tochter.
Klothilde hat ihr schönstes Kleid angelegt. Ganz weiß, ganz rein. Mit Blümchen darauf. Mit einem Hauch Lyrik, versteht sich. Klothilde hat Geschmack und sich auch die Haare brennen lassen. Ihre Backen, was sage ich, ihre „Bäckchen“ sind ganz rot. Ist es Puder, ist es Aufregung? Vielleicht beides. Ein breiter Gürtel aus schwarzem
Lackleder liegt rings um ihren Bauch. Ich weiß, daß dieser Ausdruck in Klothildens Pensionat nicht gebraucht werden durfte. Ich weiß, daß er sich wirklich nicht schön anhört, daß er sich vielleicht sogar nicht schickt — aber, bitte, was soll man sagen? Taille? Leib? Bei Klothilde kann man wirklich keinen anderen Ausdruck als Bauch finden. Außerdem ist dieser Gürtel stramm gezogen, sehr stramm sogar: so, daß er jenem Teil des Körpers, von dem man nicht gerne spricht und der beim Sitzen zum Beispiel gar nicht wegzudenken ist, eine besondere Geltung verschafft. „Mein Kind...“
Emma lächelt selig.
„Ja, Mama...?“
Emma lächelt seliger, als sie das Kind in seiner weißen reinen Pracht — mit Blümchen darauf — bewundert.
„Bist du fertig, mein Kind...?“
Emmas Lächeln kommt nun aus dem siebenten Himmel.
„Ja, Mama!“
Zwei Arme fliegen Mama um den Hals:
„O, du liebe, gute Mama.“
Beinahe Tränen. Ein Kuß auf Klothildens Stirn besiegelt die Größe des Augenblicks.
Mutter und Tochter liegen sich lange in den Armen. Ob das Kind Herzklopfen habe, fragt Emma.
„Nein, Mama!“
Ob es sich freue.
„Oh!“
„Dann laß uns hinuntergehen!“
Klothilde zupft ein letztes Mal an ihrem Kleid. Sieht noch einmal, ob die Brille ganz gerade sitzt. Ob die Locken schön liegen. Ob die Strumpfnaht geradeläuft. Jawohl, alles in Ordnung.
„In der Stadt soll man Augen machen, mein Kind!“
Das wird man auch...
Bald wird die Uhr vier schlagen. Christinchen hat den Kaffee schon fertig. Das Haus Peterstraße
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