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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ruland
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das wird doch den Herrn Doktor nicht interessieren...“
    Klothilde wirft ihm einen scharfen Blick zu. Emma versteht ihren Göttergatten nicht. Er weiß doch... Aber Emma weiß etwas nicht. Und Klothilde weiß etwas nicht. Aber der nicht mehr junge Mann und Balduin und der Wirt vom „Vater Rhein“ und Gabriel wissen etwas. Und Fritz, der Kellner...
    Der Herr Doktor hüstelt wieder.
    Stille.
    Bitte schön, danke schön. Sonst nichts.
    Emma versteht nicht. Klothilde möchte weinen. Stille.
    „Verzeihen Sie, gnädige Frau, ich wollte es eben schon sagen. Es ist mir sehr peinlich... Ich bedauere es sehr, aber ich kann höchstens, allerhöchstem eine halbe Stunde hierbleiben. Gewisse Umstände...“
    „Scherzen Sie nicht, lieber Herr Doktor! Selbstverständlich möchten wir Sie bitten, noch bis zum Abendessen bei uns zu bleiben... Meine Tochter wird Ihnen gleich etwas Vorspielen. Sie wird es besonders... aber auch mein Gatte wird es bedauern, wenn Sie schon bald gehen müßten — nicht wahr, Balduin...?“
    Balduin rührt immer noch und versucht, zu bedauern.
    Klothilde blickt traurig zu Mama. Emma aber sieht nicht auf ihr Kind, sondern auf den Herrn Doktor. Sie hat ihn sich anders vorgestellt. Gar nicht so still, gar nicht so benommen, gar nicht so...
    „Wirklich, gnädige Frau, es geht nicht anders...“ Stille.
    Ting, die Tasse. Kling, die Messerchen und Gäbelchen.
    Ehö... Wollte da jemand etwas sagen?
    Stille.
    „So besinnliche Minuten sind doch etwas Schönes, nicht wahr, Herr Doktor...? Man ist mit sich selbst beschäftigt, man ißt, man trinkt seinen Kaffee
    „Gewiß, gnädige Frau, ganz gewiß...“
    Stille.
    Kann man Herzenskummer hören? Bei Klothilde hört man ihn nicht.
    Kann man inneres Bangen und Verzweiflung wahrnehmen? Bei Emma bleiben sie verborgen. Kann man Erinnerungen hören? Erinnerungen, zum Beispiel, an viele Glas Bier, an einen nicht mehr jungen Mann, der in der Ecke sitzt und Ragout fin und Fleischbrühe verspeist und... Und...? Bei Balduin kann man sie nicht hören.
    Kann man...? Nein, beim Herrn Doktor kann man auch nichts hören.
    Gar nichts mehr. Absolute Stille. Nicht einmal ein Auto, das draußen, auf der Straße, hupt.
    „Soll ich etwas spielen, Mama?“
    Mama sieht, daß noch dreizehn Teilchen daliegen. Und jetzt will das Kind schon musizieren...
    Das Kind mag spielen. Mama hat genickt.
    „Lassen Sie nur, gnädiges Fräulein... Verzeihen Sie, gnädige Frau, ich muß wirklich gehen...“ Der Herr Doktor ist aufgestanden.
    Klothilde steht schon am Klavier. Sie denkt an die „Letzte Rose“. Ach was, sie denkt an gar nichts. Sie sieht nur. Und fühlt. Empfindet tief. Ein Tag ohne dich...
    Emma ist sprachlos. Emma ist ratlos. Emma hat schließlich wieder ein Wort gefunden:
    „Dürfen wir Sie vielleicht nachher wieder...“
    „Ausgeschlossen, es geht nicht. Es geht wirklich nicht...“
    Balduin betrachtet das Bild. Aber nicht aus der vorgeschriebenen Entfernung. Ach, es ist ja doch alles gleichgültig...
    „Gnädige Frau...“
    Der Herr Doktor verbeugt sich. Nimmt ihre Hand. Diesmal ohne Kuß.
    Klothilde steht noch immer am Klavier. Mama, was ist nur geschehen?
    „Gnädiges Fräulein — guten Tag!“
    Händedruck. Ganz leicht. Voller Form. Klothildens Backen glühen. Sie kann nichts sagen.
    Der nicht mehr junge Mann hat schon die Türklinke in der Hand. Emma sieht ihn groß an. Weshalb verabschiedet er sich denn nicht von ihrem Balduin?
    Emma geleitet den Herrn Doktor in die Garderobe, gibt ihm den Hut, will ihm — ach so, einen Stock hat er nicht, öffnet die Tür...
    Klothilde hört sie schlagen. Das Kind ist auf den Klavierschemel gesunken. Gedankenlos, Kopf nach unten, eine Hand willenlos auf den Tasten, spielt sie die Tonleiter.
    Unglücklich? Nein, das Kind ist tapfer!
    Emma kommt wortlos ins Zimmer. Streichelt Klothilde das Haar.
    „Nicht traurig sein, mein Kind...“
    Stille.
    „Kannst du das verstehen, Balduin?“
    Nein, er versteht es nicht. Er wird sich schön hüten, das zu begreifen.
    „Verstehst d u das, mein Kind...?“
    Woher sollte das unerfahrene Kind das verstehen? Emma sinkt in einen Sessel. Wer soll jetzt nun die übriggebliebenen Teilchen essen? Balduin jedenfalls nicht. Er geht ein paarmal im Zimmer auf und ab — genau so, wie er das noch vor einer halben Stunde getan hat. Er verschwindet plötzlich hinter der Türe. Emma fragt ihn nicht, wohin er geht. Eine Viertelstunde später sieht man ihn auf dem Wege nach Rebenheim. Wenn Emma wüßte, daß

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