Flegeljahre am Rhein
Seht euch die Hilde an!
Wie beruhigend, daß morgen Sonntag ist... Lichter machen selig. Musik weckt beste Stimmung, läßt vergessen, macht mutig...
Wieso mutig? Glaubt Hilde etwa, daß Civilis Angst hat? Vor wem denn Angst? Ach so — vor dem! Lächerlich, einfach unsinnig. Nein, Hilde, fesches Kind, so darfst du von Civilis nicht denken. Du wirst dich noch schön wundern...
Wie spät ist es eigentlich?
Elf Uhr schon.
Du meinst wohl, Hilde, so ein Oberprimaner wäre kein ganzer Kerl? Reden wir lieber nicht davon. Civilis neigt augenblicklich nicht zu Betrachtungen. Er möchte lieber noch einmal tanzen.
Wo haben sie denn ihre Köfferchen gelassen? Sie stehen in der Garderobe.
Wie kommt Civilis an das Geld für den süßen Likör, den er jetzt noch bestellt?
Hilde hat etwas „beigesteuert“. Ein Oberprimaner braucht sich nicht zu schämen, daß er ein armer Teufel ist.
Nun wird es aber Zeit.
„Ja, Hildchen, wir wollen gehen...“
„Bitte, die Garderobenummern.“
„Wir hatten zwei Köfferchen, einen Herrenhut, einen Damenmantel.“
Frische Luft. Singendes, munteres Köln. Sonnabendstimmung: Heute gehn wir aus, morgen können wir lange schlafen.
Wenn nun das Hotel überfüllt ist?
Civilis soll doch nicht so dumme Fragen stellen. Natürlich sind noch Zimmer frei. Weshalb denn nicht?
Wenn denn nun...? Civilis soll vernünftig sein, sonst meint Hilde ja, er sei wirklich ein kleiner Oberprimaner. Hilde schmollt mit ihrem Mund und pfeift ein paar lustige Takte.
Da steht schwarz und gespenstisch der Dom. Hilde und Civilis gehen über seinen Vorplatz. Am Bahnhof vorbei.
Da ist das Hotel.
Etwas mehr Männlichkeit, bitte, Herr Oberprimaner! Gut so, die Fraulichkeit genügt, Fräulein Hilde!
Danke, die Köfferchen tragen die Herrschaften selber. Bitte sehr, das Gästebuch. Civilis zückt seinen Bleistift. Hilde bleibt etwas abseits stehen. Da hängt ein Spiegel. Hilde findet, daß sie sehr gut aussieht. Civilis findet, daß Hoteleintragungen sehr unangenehm sein können. Beruf? Ein Oberprimaner kann nicht gut... Schön, also einen Strich: ohne Beruf. Geburtsdatum der Ehefrau? Peinliche Frage.
Ach so!
Civilis bekommt einen roten Kopf, überlegt sekundenschnell, zögert, blickt verstohlen zur Seite. „Schreiben Sie irgendein Datum“, sagt der alte Portier und lächelt verständnisvoll.
Danke, das genügt.
„Wann wünschen die Herrschaften geweckt zu werden?“
Die Herrschaften wollen nicht geweckt und nicht gestört werden.
„Selbstverständlich, ganz nach Belieben“, sagt der alte Portier und lächelt noch verständnisvoller. Eine Treppe. Zwei Treppen.
Weshalb denn so unruhig, Civilis?
Zimmer 17.
Gute Nacht.
Nach zehn Minuten öffnet sich die Türe vom Zimmer 17 einen Spalt. Eine kleine Hand reicht ein Paar zierliche Damenschuhe heraus. Die Hand geht zurück, die Türe aber noch nicht zu. Da ist die Hand noch einmal und stellt ein Paar Herrenschuhe hin, die vor ein paar Stunden sehr geglänzt haben mögen, nun aber verkratzte Kappen haben — so, als wenn man beim Tanzen darauf getreten hätte.
Köln geht noch nicht schlafen.
Die Lichter locken noch immer.
Wie schön, daß man sich morgen ausschlafen kann...
☆
Ein strahlendes junges Mädchen und ein strahlender junger Mann kommen die Treppe herunter. Der junge Mann trägt in jeder Hand ein Köfferchen. Das junge Mädchen hält einen Herrenhut in der Hand.
„Haben die Herrschaften gut geschlafen...? Bitte sehr, das Frühstückszimmer liegt hier rechts.. Das strahlende junge Mädchen und der strahlende junge Mann blicken sich an. Da strahlen sie noch mehr.
Bitte sehr, die Türe.
Das strahlende junge Mädchen und der strahlende junge Mann sehen ein paar gedeckte Frühstückstische.
Dem strahlenden jungen Mann fällt ein Köfferchen aus der Hand. Sein Gesicht wird leichenblaß.
Seine Augen hängen erstarrt… zu spät, zu spät!
Alles ist aus. Abitur hin. Skandal zu Hause. Zu spät! x 2 hat ihn schon gesehen, x 2 hat auch Hilde schon erspäht, die immer noch strahlt, weil sie nicht gemerkt hat, was geschehen ist. Civilis reißt sich zusammen. Nimmt das Köfferchen wieder. Hinausgehen? Natürlich nicht. Das wird die Situation nur verschlimmern.
Da sieht auch Hilde den Herrn Assessor. Aber sie strahlt unentwegt, sie schreckt nur zusammen. Civilis geht weiter, Hilde folgt ihm. An dem Tisch vorbei, wo x 2 sitzt. Civilis macht eine Verbeugung, sieht in eine andere Richtung, stakt bis zum letzten Platz, setzt die Köfferchen hin,
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