Flegeljahre am Rhein
manchen Brief ins Haus gebracht.
Emma oder Klothilde liegen abwechselnd auf der Lauer. Sie fangen den Postboten ab, damit Vater Balduin nicht merkt, daß Mutter und Tochter Geheimnisse haben. Die Männer brauchen nicht alles zu wissen. Es genügt, wenn man sie später vor die vollendete Tatsache stellt. Emma hat das ihrer Tochter Klothilde schon einmal erklärt.
Was bringt der Briefträger denn in das Haus Peterstraße 7a? Er beschert geheimnisvolle Sachen. Wenn er dagewesen ist, ziehen sich Mutter und Tochter in ihr kleines Zimmer zurück.
Emmas zwölf Briefe haben Erfolg gehabt. Sie schwört auf Heiratsanzeigen. Man hat gleich die große Auswahl. Man hat nicht nötig, sich auf Freundinnen und Schwägerinnen zu verlassen.
Es war viel Arbeit, aus der Auswahl den Richtigen herauszusuchen. Emma mußte schreiben und mußte antworten. Sie mußte überlegen und vergleichen. Mußte auf der einen Seite vertrösten, auf der anderen vorsichtig sein. Sie mußte ein gutes Bild von Klothilde besorgen. Man ging zum Photographen. Der verstand, auf was es ankam, und lieferte ein ausgezeichnetes Bild. Emma war zufrieden, Klothilde wußte nicht, daß sie so schön war. Der Photograph hatte sein Geschäft verstanden und den Retuschierstift zu führen gewußt.
Drei Auserwählte sind in die engere Wahl gekommen. Drei Männer auf einmal — etwas viel. Emma mußte weiter wählen. Mit Klugheit. Mit Überlegung. Voreilige Schritte sind gefährlich. Sie muß die Karten fragen. Die Karten sagen einmal so und einmal so. Auf sie kann man sich nicht verlassen. Emma fragt das Gefühl. Sie „fühlt“, daß Sachsen etwas weit weg liegt. Sie kann dem Mann die weite Reise nicht zumuten. Doch, sie könnte es schon. Aber es ist alles sehr umständlich, und an der Geographie wird die Liebe doch bald wieder sterben. Gut, streichen wir ihn. Bleiben noch zwei.
Das Schicksal hat gesprochen. Einer der beiden letzten Auserwählten tritt zurück. „Weil er schon eine andere gefunden hat. Gut — dann ist Emma die Sorge der Entscheidung los. Der letzte muß also der Richtige sein.
Der letzte wohnt sogar in der Nähe. Gar nicht weit von Köln entfernt besitzt er einen kleinen Gutshof. Auf einen Gutshof gehört eine Frau. Emma hat schon immer von Landwirtschaft geschwärmt. Durch die Felder gehen und Hühner füttern — oh, muß das schön sein!
Dieser letzte der zwölf Auserwählten hat nicht eine beliebige Frau gesucht. Er wünscht eine mit Herzensbildung, Naturverbundenheit, Musikverständnis, tadelloser Vergangenheit, Vermögen Nebensache, Zuneigung allein entscheidet. Bitte, alles nach Wunsch. Klothilde hat sogar noch mehr aufzuweisen.
Vor allem ein sich sehnendes Herz.
Und eine große Blume vor der Brust.
Dazu ein neues Kleid, das bei der Schneiderin in Arbeit ist. Zu einem großen Tag gehört nun einmal ein neues Gewand.
Der große Tag kommt. Es ist Ende November. Draußen ist es traurig und still. Die Bäume der Peterstraße stehen wie knorrige Gespenster. Der Himmel hängt wie ein graues Laken. Die Sonne hat ihre Heizung abgestellt und ihr helles Licht abgeblendet. Aber im Hause Peterstraße 7a herrscht jubelnde Freude. Alles hat geklappt. Auch Balduin ist verständigt worden und hat ja gesagt. Das neue Kleid sitzt großartig. Die beiden neuen Klavierkerzen sind rot. Denn rot ist die Liebe, und die Liebe zeigt sich bei Klothilde zuerst immer am Klavier.
Der große Tag ist da.
Christinchen, der gute staubwischende und tellerwaschende Geist im Hause Peterstraße 7a, hat eine reine weiße Schürze angezogen. Nun kann nichts mehr schiefgehen.
Der große Tag verläuft zur vollsten Zufriedenheit.
Emma ist glücklich, Klothilde selig, Balduin geht den vorgeschriebenen Mittelweg, und der Herr Bräutigam lobt Balduins Zigarren, den guten Kaffee, findet Rheinstadt sehr hübsch, Klothildes Kleid geschmackvoll, sie selbst gefühlvoll und bescheiden, und das Weitere wird sich finden.
Das Weitere findet sich bei einer Flasche Wein. Balduin ist plötzlich wieder Alkoholiker geworden, der einen guten Tropfen wohl zu schätzen weiß — weil der Herr Bräutigam es auch weiß. Emmas Wetterfahne funktioniert ausgezeichnet. Das noch Weitere findet sich bei einer zweiten und dritten und vierten Flasche. Klothilde sitzt neben dem Herrn Bräutigam. Der Herr Bräutigam erzählt von seinen Kühen, seinen Pferden und Wiesen und benimmt sich überhaupt sehr gut. Uber das viel Weitere läßt sich noch nichts sagen. Amors Mühlchen drehen sich zuweilen sehr
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