Fleisch essen, Tiere lieben
ausbeutendem und ausschließlich ausgebeutetem Lebewesen. Wenn diese Beziehung gesund ist, liegt ihr ein Wechselverhältnis zugrunde, von dem beide Seiten profitieren.
»Wir halten Domestizierung automatisch für etwas, das wir mit anderen Arten tun, aber es ergibt genauso viel Sinn, sie als etwas zu betrachten, das bestimmte Pflanzen und Tiere mit uns getan haben, eine kluge evolutionäre Strategie, um ihre eigenen Interessen nach vorne zu bringen. Die Gattungen, welche die letzten zehntausend Jahre oder so damit verbracht haben, herauszufinden, wie sie uns am besten füttern, heilen, kleiden, berauschen und anderweitig erfreuen können, sind zu den größten Erfolgsgeschichten der Natur geworden«, schreibt Michael Pollan in »The Botany Of Desire«.
Als Beispiel nennt Pollan den Mais, der kurz davor steht, die Weltherrschaft zu erlangen – so viel bauen wir von dieser Pflanze an. Kein Getreide ist so weit verbreitet wie Mais – über 800 Millionen Tonnen erntet die Welt pro Jahr. »Obwohl wir darauf bestehen, von unserer ›Erfindung‹ der Landwirtschaft zu sprechen, als wäre es unsere Idee, so wie doppelte Buchführung oder die Glühbirne, ergibt es tatsächlich genauso viel Sinn, die Landwirtschaft als brillante Strategie vonseiten der darin einbezogenen Pflanzen und Tiere zu sehen, um Interessen voranzubringen. Indem sie bestimmte Eigenschaften entwickelten, welche wir zufällig begehrenswert finden, haben diese Arten die Aufmerksamkeit des einen Säugetiers bekommen, welches in der Position ist, nicht nur ihre Gene über die ganze Welt zu verteilen, sondern große Landstriche dieser Welt nach dem Bild des bevorzugten Lebensraums der Pflanze umzugestalten«, schreibt er in »The Omnivore’s Dilemma«. Wir plätten riesige Flächen der Erdoberfläche, um Pflanzen wie Weizen, Soja und Mais wachsen zu lassen. Wir vernichten die Feinde dieser Pflanzen, ernähren sie mit Dünger und sorgen dafür, dass sie unzählige Nachkommen haben. Wenn man davon ausgeht, dass der Erfolg einer Spezies daran gemessen werden kann, wie stark sie sich vermehrt und verbreitet, ist das wahrhaftig ein gewaltiger Sieg dieser Gräser über andere Pflanzen. Als zweites Beispiel führt Pollan Hunde an, von denen es allein in den USA 50 Millionen gibt – im Gegensatz zu nur zehntausend Wölfen. Aus Pflanzen- und Tierperspektive lohnt sich die Anpassung an menschliche Bedürfnisse also gewaltig.
Lierre Keith beschreibt in »The Vegetarian Myth« den Augen blick, in dem ihr klarwurde, dass ihre bis dahin gültige Definition von Domestizierung als die Quasi-Versklavung anderer Lebewesen durch den Menschen keinen Sinn ergab:
»Es gab einen genauen Moment, an dem diese Definition für mich aufsprang. Es war sechs Uhr an einem Morgen im Januar, und die Temperatur lag weit unter null. Ich hatte zwei Liter heißes Wasser durch einen Meter tiefen, eisglatten Schnee zu bringen, damit meine Hühner etwas zu trinken bekamen. Wasser war an dem warmen Tag zuvor in den Türpfosten getropft und hatte die Tür über Nacht zugefroren. Reden wir nicht von der mühsamen Aufgabe, mit Hilfe von Schraubenziehern, Buttermessern und Streichhölzern die Tür aufzutauen. Irgendwo zwischen meiner verbrannten Handfläche und dem Gefühl eines ekelhaften Klumpens Schnee, der in meinen Nacken fiel, dachte ich: All die Jahre habe ich es falsch verstanden. Ich beute sie nicht aus. Sie sind glücklich, sicher, warm und satt. Ich bin diejenige, der es schlecht geht. Hühner setzen keinen Fuß in den Schnee, erst recht würden sie mir keine Vorräte bringen. Dieser nasse Tropfen, der meine Wirbelsäule herunterlief, war wie ein kalter Stich Realität. Hühner haben Menschen dazu gekriegt, dass wir für sie arbeiten. Im Gegenzug kümmern sie sich um uns, aber nicht, indem sie uns Wasser bringen. Indem sie uns mit Nahrung versorgen – Fleisch und Eiern – und einer ganzen Bandbreite anderer nützlicher Aktivitäten für Bauernhöfe. Es ist eine Partnerschaft, eine, die für beide Seiten gut funktioniert hat – bis zur Massentierhaltung.«
Mehr noch: Ohne die menschliche Tierhaltung würde es bestimmte Tierarten gar nicht oder kaum geben. Würden alle Menschen auf Fleisch verzichten, gäbe es keine oder wesentlich weniger Hühner, Schweine und Kühe. Natürlich liegt Massentierhaltung nicht im Interesse dieser Tiere. Aber man muss sich klarmachen, dass der Mensch nicht der Sklaventreiber der Natur ist – oder es zumindest nicht sein muss. Auch in der freien Natur
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