Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fleisch essen, Tiere lieben

Titel: Fleisch essen, Tiere lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theresa Baeuerlein
Vom Netzwerk:
einem utilitaristischen Standpunkt aus gesehen, bedeutet, zu sa gen: ›Hier ist folgende strenge Regel, an die ich mich um jeden Preis halten muss.‹ Ich denke, wir können ethisch bewusst leben und dabei verstehen, dass es manchmal Kompromisse geben wird. … Ich kenne ein paar Leute, die zu Hause vegan leben, aber wenn sie in ein schickes Restaurant gehen, gestatten sie sich den Luxus, an diesem Abend nicht vegan zu sein. Ich kann darin nichts wirklich Falsches sehen. Wenn sie an neun von zehn Tagen etwas Gutes tun, werde ich sie nicht dafür kritisieren, am zehnten Tag nicht ganz perfekt zu sein.«
    Fanatismus ist niemals eine gute Lösung – und bewirkt sogar oft das Gegenteil. Temple Grandin, die über die Hälfte der Schlachthäuser in den USA designt hat, und deren erklärtes Ziel ist, das Leiden der Tiere so niedrig wie möglich zu halten, hat für die Schlachtstätten Richtlinien entwickelt, die ganz bewusst eine Fehlerquote mit einrechnen: Ausgehend von der Erfahrung, dass Schlachtangestellte im Schnitt besser arbeiten, wenn man von ihnen nicht erwartet, dass sie ununterbrochen perfekt funktionieren, hat sie Richtlinien entwickelt, die verlangen, dass nicht 100, sondern 95 Prozent der Tiere beim ersten Versuch korrekt betäubt werden. Das Ziel ist hierbei nicht, das Leiden von fünf Prozent der Tiere zu ignorieren, sondern den Druck völligen Perfektionismus von den Arbeitern zu nehmen – wodurch sie letztlich besser arbeiten. Diese Regeln wurden für die großen Schlachthäuser der USA entwickelt. Im Idealfall wären sie nicht nötig. Nicht, weil alle Arbeiter fehlerlos arbei ten, sondern weil die Bedingungen, unter denen Tiere ge schlachtet werden, anders aussehen sollten. Weniger Tiere, mehr Zeit.
    Zu diesem Schluss kommt der Philosoph Singer, wenn er an den Journalisten Pollan schreibt: »Falsch am Töten von Tieren ist nicht das Prinzip, sondern die Praxis.«

13
    Dem Essen in die Augen sehen
    Ich habe ein paar Jahre lang mit einem Gehirnforscher zusammengewohnt. Erik war einer der empfindsamsten Menschen, die mir je begegnet sind. Als Biologe kannte er die Grammatik des Lebens wesentlich besser als ich. Er sah fühlendes Leben, wo für mich nur Materie war. Seine Ehrfurcht vor diesem Leben ging sogar so weit, dass er sich nicht in der Lage sah, die Küchenkräuter auf seinem Balkon zu ernten. Der Rosmarin, der in einem Terrakottatopf vor sich hin strotzte, blieb unberührt. Weil Erik die Pflanze nicht verletzen wollte. Als Biologe wusste er mit Sicherheit, dass Pflanzen zwar nicht in der Weise fühlende Wesen sind wie Katzen oder Menschen, aber dass sie im wahrsten Sinne leben, kommunizieren und, bis zu einem gewissen Grad, Empfindungen haben. Es mag verrückt klingen, aber laut Dieter Volkmann, emeritierter Professor vom Institut für Zelluläre und Molekulare Biologie an der Universität Bonn, können Pflanzen sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen. Pflanzen haben zwar kein Nervensystem wie Menschen, aber nach Auffassung mancher Pflanzeneurobiologen durchaus vergleichbare Strukturen. ¹²² Nach Meinung dieser Forscher behandeln wir Pflanzen zu Unrecht wie primitive Lebewesen. Fast jeder hat schon einmal davon gehört, dass Pflanzen, mit denen man spricht oder die mit Musik beschallt werden, besser wachsen. Das ist kein Märchen: Pflanzenneurobiologen konnten zeigen, dass Weintrauben, die regelmäßig mit klassischer Musik beschallt wurden, größere und süßere Früchte produzierten. Tabakpflanzen warnen sich gegenseitig mit Duftstoffen vor Fressfeinden. Sie produzieren dann vermehrt Nikotin, um ihre Feinde zu töten. »Pflanzen reagieren koordiniert auf etwa 20 verschiedene Signale aus ihrer Umwelt, etwa Feuchtigkeit, Licht, Schwerkraft, Bodenstruktur oder Wind«, glaubt Anthony Trevawas, Pflanzenneurobiologe an der University of Edinburg in Schottland. ¹²³
    Mein gehirnforschender Mitbewohner zog aus diesen Erkenntnissen eine absurde Konsequenz: Sein Rosmarin wucherte unbehelligt vor sich hin, weil er ihm nicht wehtun wollte. Aber fast jeden Tag lag neben dem Spülbecken in der Küche ein Paket mit gefrorenem Fleisch für sein Abendessen. Danach gefragt, was das sollte, erklärte Erik mir seine eigene, ganz spezielle Logik: Jedes Mal, wenn er eine Mahlzeit zu sich nähme, tue er einem lebenden Wesen Unrecht. Vegetarismus oder Veganismus waren laut Erik völlig sinnlos, denn unabhängig davon, ob man ein Tier oder eine Pflanze auf dem Teller liegen hätte: Ein Lebewesen litt und

Weitere Kostenlose Bücher