Fleisch essen, Tiere lieben
Massentötung von Lebewesen, wie sie die Fleischindustrie betreibt, gibt es, sosehr man danach sucht, keine moralische Rechtfertigung. Aber gibt es diese für die direkte, absichtliche Tötung von Lebewesen an sich?
Der Eintrag »Mensch« auf der deutschen Wikipedia-Seite beginnt mit dem Satz: »Der Mensch ist innerhalb der biologischen Systematik ein höheres Säugetier aus der Ordnung der Primaten.« Man kann Tieren Emotionen absprechen, wenn man möchte, obwohl das angesichts des Verhaltens eines Hundes, der sein Herrchen nach ein paar Stunden wiedersieht, schon schwierig ist. Was man ihnen aber keinesfalls absprechen kann, ist die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden. Genau das aber ist die alltägliche Realität im Leben von Tieren innerhalb der Fleischindustrie: Leiden und Schmerz. Tiere werden in dieser Industrie wie Maschinen behandelt, was der Denkart des Philosophen Descartes entspricht, der Tieren, im Gegensatz zu Menschen, eine Seele absprach. Wieder: Was gibt uns das Recht dazu? Wer die moralische Erlaubnis, die Scheibe Schinken dem veganen Grünkernaufstrich vorzuziehen? Robertos Antwort würde lauten: Nichts gibt uns das Recht. Aber so funktioniert die Natur. Auch der Grünkern will leben, und trotzdem essen wir ihn, weil uns unser eigenes Überleben wichtiger ist. Aber sicher spielt die Komplexität des Lebewesens, das wir für unser eigenes Überleben töten, eine Rolle. Ein Schwein kann stärker leiden als ein Stängel Gras, weil es eine komplexere Wahrnehmung hat. Ist der Fleischkonsum also wirklich nur eine kulinarische Präferenz? Ist »Mir schmeckt’s halt« wirklich ein gültiges Argument, das ein bewusster Mensch ohne Schamesröte anbringen kann? Unsere Vorfahren in der Steinzeit mussten Tiere essen. Wir nicht. Warum tun wir es also?
Pollan weist in »The Omnivore’s Dilemma« darauf hin, dass es viele Dinge gibt, die wir nicht tun müssen und die wir trotzdem gerne tun wollen und wertschätzen: Sex etwa. Aus rein biologischer Sicht gibt es für moderne Menschen keinen Grund mehr, Sex zu haben. Fortpflanzen können wir uns mittlerweile relativ problemlos ohne jeden Beischlaf. Wäre da nicht die Lust. Und Fleischeslust, im sexuellen und im kulinarischen Sinne, ist, man mag es finden, wie man möchte, unzweifelhaft ein starker Drang. Sich von beidem zu lösen, würde bedeuten, ein buddhistisch-mönchisches Leben zu wählen. Vielleicht wäre das für die Menschheit, für den Planeten insgesamt tatsächlich besser. Realistisch aber ist das bisher nicht.
Die Frage, ob wir Tiere töten dürfen, wirft unzählige weitere Fragen auf: Ja, Tiere können Schmerz empfinden, aber leiden sie darunter im gleichen Maße wie Menschen, die ihren Schmerz dank ihres komplexeren Bewusstseins nicht nur empfinden, sondern auch noch bewerten? Wie können wir einerseits Menschen und Tiere auf eine Stufe stellen und andererseits moralische Fragen über Tod und Leben stellen, die ein Tier niemals bekümmern würden? Ist es in Ordnung, ein Tier, das es ohne mein Bedürfnis nach Fleisch gar nicht geben würde, artgerecht leben zu lassen und ihm dann einen schmerzfreien Tod zu bereiten? Gibt es so etwas wie gewaltfreie Nahrung überhaupt? Wie definiert man Gewalt? Liegt sie unmittelbare in der Tat des Metzgers, der einer Kuh die Kehle durchschneidet? Oder liegt sie auch in der Hand des Konsumenten, der eine vegetarische Bolognese-Sauce kocht, deren Grundlage eine Sojapflanze ist, die in einer riesigen Monokultur gewachsen ist, inklusive Pestiziden, Herbiziden, Fungiziden und mineralischem Dünger. Und die dann von einem Ende der Welt ans andere verschifft wurde, um schließlich unter hohem Energieaufwand und unter Einsatz eines starken Umweltgifts in einen texturierten Fleischersatz verwandelt zu werden?
Wir können nicht verhindern, dass Tiere sterben. Genauso wenig, wie wir verhindern können, dass wir selbst sterben. Was wir sehr wohl verhindern können, ist, dass Tiere massenhaft und unter grausamen Bedingungen sterben. Lierre Keith: »Der Tierrechtsphilosoph Peter Singer argumentiert, dass man nur Tierprodukte essen sollte, deren Herkunft man mit eigenen Augen gesehen hat. Während ich dem Ansporn dafür zustim me (…), muss diese Forderung viel größer sein: Man sollte wissen, wo jeder einzelne Bissen des eigenen Essens herkommt.«
Selbst der Hardliner Singer ist nicht unnachgiebig, wenn es um Fleisch in kleinen Mengen geht. »Ich möchte betonen, dass ich nicht denke, dass ethische Ernährung, insbesondere von
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