Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fleisch essen, Tiere lieben

Titel: Fleisch essen, Tiere lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theresa Baeuerlein
Vom Netzwerk:
starb dafür. Der Unterschied zwischen dem Rosmarin und der gefrorenen Putenbrust bestand in Eriks Kopf darin, dass der Rosmarin eben sein persönliches Kraut war, das er mit eigenen Händen gepflanzt und gepflegt hatte. Er hatte also eine Beziehung zu dieser Pflanze entwickelt. Die Pute in der Styroporschale dagegen war ein anonymes Tier. Und deswegen konnte er sie essen.
    Diese Argumentation mag wahnsinnig scheinen. Tatsächlich aber beschreibt sie genau das Prinzip, nachdem die meisten Supermarktkunden ihre Lebensmittel einkaufen: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Und: Solange ich keine emotionale Verbindung zu meiner Nahrung habe, ist mir deren Herkunft egal.
    »Das Gesicht des Schweins muss unsichtbar bleiben, sonst würden wir es als Subjekt wahrnehmen und Mitgefühl entwickeln. So macht es Sinn, dass Schlachthöfe häufig außerhalb der Sichtweite der Menschen stehen, die die geschlachteten Tiere essen sollen. Wir behandeln also nicht hoch entwickelte Tiere besser, sondern Lebewesen, die uns nahestehen, in deren Gesicht wir schauen und auf deren Gestiken wir menschliche Gefühle projizieren können«, schreibt Emel Mangel. ¹²⁴
    Was, wenn man diese Trennung aufheben würde? Wenn wir unserer Nahrung gewissermaßen ins Gesicht sehen müssten? Bekämen wir dann das Schnitzel noch herunter?
    Um diese Frage zu beantworten, betrachten wir folgende Szene näher.
    Eine Gruppe junger Männer mit kurzen Bärten und Hornbrillen stehen im Halbkreis um ein Schwein herum. Sie sehen aus, als gehörten sie in eine Starbucks-Filiale in Berlin, Macbooks auf den Knien und Becher mit Milchschaum in den Händen. Stattdessen starren sie in einen aufgeschlitzten Bauch. Die Haut des Tiers ist glatt und rosig, die Zitzen auf dem Bauch erinnern erschreckend an menschliche Brustwarzen. Die Männer stecken in weißen Kitteln, auf den Köpfen weiße Mützen mit Gummizug, auf den Gesichtern zeichnet sich Staunen ab, Neugier und Überraschung. Als Nächstes sieht man ein Messer, das in einer Blutpfütze auf dem Boden liegt, einen abgetrennten Schweinekopf, die Augen ausgestochen. Das Motiv könnte sich auf dem Poster einer Vegetarismus-Kampagne finden, tut es aber nicht. Es handelt sich um Bilder aus dem Porkcamp.
    Die Fotos stammen aus einer Serie, die man auf Flickr einsehen kann. Ein Freund hat mir den Link geschickt. Zuerst bin ich abgestoßen. Wenig später begeistert.
    Das Porkcamp ist ein Wochenend-Workshop, in dem ganz normale Menschen, die keine Ahnung vom Schlachten haben, aber näher an die Quelle ihrer Nahrungsmittel heran wollen, dabei helfen, Schweine zu töten, zu zerlegen und zu verarbeiten. Das erste Porkcamp fand Anfang 2010 auf Gut Hesterberg bei Neuruppin-Lichtenberg statt, einem Betrieb in Brandenburg, mit großen Ställen, viel Weideland für die Zucht von Galloway-Weiderindern, freilaufenden Legehennen, Schafen und Schweinen. Ein Familienbetrieb mit eigener Schlachterei, dessen Mit glieder sich bereiterklärt haben, einer Gruppe neugieriger Schlacht-Gringos, die aus ganz Deutschland angereist waren, das Geschäft des Tötens und der Fleischproduktion näherzubringen. Und sie ersparten den Besuchern nichts.
    »Wir schauen uns das Schwein an. Schlachtgewicht von ungefähr 90 kg, sichtbar gute Muskulatur – und sehr süße Augen«, beschreibt Porkcamp-Teilnehmer Brian Melican in seinem Blog Melican’s Kitchen später das Erlebnis. Er sieht, wie der Metzger die Stromzange an den Kopf des Schweins setzt. »Das Tier schließt die Augen, zittert und grinst, und dann läutet ein Hupen wie in irgendwelcher Spielshow: Game over … schnurstracks hängt das noch röchelnde Tier Fuß über Kopf von einer Schiene an der Decke. Die Schranke wird geöffnet und das Schwein über dem Eimer stationiert. Die Kanüle wird in die Halsader geschlagen und das Blut kommt rausgepumpt. Es dampft.«¹²⁵
    Die Porkcamp-Teilnehmer sind keine gewissenlosen Wurstesser, die ihre Blutlust am Tod der Schweine stillen. Sondern das exakte Gegenteil: Es sind Menschen, denen bewusst ist, dass Schnitzel nicht in Kühlregalen und Plastikschalen wachsen. Die Porkcamp-Teilnehmer wollen verstehen, was mit dem Tier passiert, dessen Muskelmasse sie auf ihr Brot legen. Es ist die vielleicht einzige Möglichkeit, Fleisch mit gutem Gewissen essen zu können. Mit eigenen Augen zu sehen, ob Schlachten und Leiden untrennbar miteinander verbunden sind oder ob es einen für das Tier schmerzfreien Weg gibt. Sonst bleibt immer der Schatten des Zweifels:

Weitere Kostenlose Bücher