Fleisch und Blut 2: Thriller (German Edition)
noch ein ander es Gefühl.
Eine urtümliche Emotion, die im Hintergrund seines Verstand es ihre dunklen Bahnen zog und Andy vorerst verborgen blieb.
„ Nein, Andy“, sagte Jerry, „bei uns gibt es keinen Teufel – und auch keine Hölle. Es gibt keine Lehrer, die uns den Tag vermiesen, keine Algebra, über der wir uns den Kopf zerbrechen – nichts von alledem, was uns früher so geplagt hat. Wir haben Spaß, Andy. Spaß, den du dir noch nicht einmal vorstellen kannst, mein Freund. Und wir sind frei, alles zu tun, was wir wollen. Für immer.“
Andy lauschte Jerrys Worten nur halbherzig.
Stattdessen versuchte er inständig, jenes Gefühl zu ergründen, das noch immer im Verstand der Kreatur umging und mit seiner Stimme mitschwang. Das Gefühl, dachte Andy, das die Kreatur so verzweifelt vor ihm verstecken wollte. Doch so sehr er sich auch anstrengte – es wollte ihm einfach nicht gelingen.
„ Lass dieses verdammte Kreuz fallen, Andy“, sagte Jerry mit einer Stimme, die nicht mehr seine eigene war, „danach kannst du tun und lassen, was du willst. Verschwinde von hier oder schließ dich uns an. Lass es fallen und du bist frei, Andy – frei, alles zu tun, was du willst.“
Jerry trat einen zaghaften Schr itt auf Andy zu, als es geschah:
Die Verbindung zwischen ihnen wurde mit einem Mal stärker und mit ihr auch das verborgene Gefühl, das Jerrys sämtliche Gedanken durchzog. Er schwappte auf Andy über wie eine alles verschlingende Sturmflut und es dauerte nicht lange, bis er es als das erkannte, was es auch wirklich war:
Angst.
Es war Angst, dachte Andy, daran bestand überhaupt kein Zweifel. So sehr sich Jerry vielleicht auch ins Zeug legte, um ihn zu überzeugen – er hatte schreckliche Angst vor ihm. Oder besser gesagt davor , dass Andy vielleicht nicht tat, worum er ihn anflehte.
Worum sie ihn alle anflehten...
Die Kette, dachte Andy, in den verdammten Brunnenschacht zu werfen.
Die Erkenntnis, die daraufhin folgte, war bitter.
Sehr bitter sogar:
D enn auf einen Schlag legte sie Andys gesamte Welt in Schutt und Asche. Alle Zuversicht schwand in Sekundenbruchteilen – und mit ihr auch die Hoffnung. Er gab seinen Traum auf und klammerte sich nicht weiter an die Illusion, die in den vergangenen Tagen sein Handeln bestimmt hatte.
Und mit einem Mal erkannte Andy die komplette Wahrheit:
Die abgrundtief hässliche Wahrheit...
Ganz egal, was er auch tat - er würde seine Mutter nicht retten können. Die Hoffnung hatte seinen Verstand umgarnt und ihn blind für den Schrecken gemacht, der ihn umgab. Doch in diesem Augenblick, da die Kette in seiner Hand hin und her pendelte und ihm das wahre Antlitz seiner Mutter offenbarte, wusste er endlich, dass all seine Mühen völlig vergebens gewesen waren.
Das Einzige, dachte Andy, was er überhaupt noch tun konnte, war, sich selbst zu retten. Er war in die Höhle des Löwen hinabgestiegen – in der Hoffnung, ein gutes Werk zu vollbringen. Doch in diesem Augenblick, da sich das wahre Ausmaß seines Irrtums abzeichnete, war es an der Zeit, Plain Rock ein für allemal den Rücken zu kehren.
Raus aus dem Schlund und raus aus der verdammten Stadt. ..
Andys Griff schloss sich noch fester um die Kette und er trat langsam den Rückweg an. Die Kreaturen schienen einen Augenblick lang zu zögern – doch gleich darauf brach um ihn herum auch schon die Hölle los:
Sie hatten seinen Plan durchschaut, dachte Andy, und so , wie die Dinge standen, würden sie alles dafür tun, um ihn an der Flucht zu hindern.
Alles...
Die Schatten um ihn herum gerieten in Bewegung und spien überall weitere Vampire aus. Sie krochen aus den Spalten hervor und krabbelten von der Decke hinab. Ein rotes Lichtermeer erstrahlte plötzlich in der Dunkelheit. Augenpaare fixierten Andy zu allen Seiten, während die Stimme seiner Mutter unablässig auf ihn einredete.
Doch es gelang der Kreatur scheinbar ni cht mehr, den Schein zu wahren: Immer wieder schlichen sich knurrende Laute in die Worte, mit denen sie ihn zurückzuhalten versuchte:
„Was tust du da, Andy? Bleib hier, sonst bin ich auf immer verloren. Bitte, mein Schatz, bitte bleib hier. Rette mich, bitte rette mich...“
Rette mich...
Andy hörte jedoch gar nicht mehr hin. Er hat te die Schnauze gestrichen voll von all den schönen Lügen, mit denen sie...
... ER...er war es...ER war es die ganze Zeit gewesen...
... ihn gefügig gemacht hatte. Nein, dachte Andy, seine Mutter war schon längst tot. Er konnte ihr nicht mehr
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