Fleisch und Blut 2: Thriller (German Edition)
um endlich Gewissheit zu haben.
Doch genau das Gegenteil war plötzlich der Fall. Das, was Andy in diesem Augenblick sah, schürte seine Angst von Neuem. Denn im schwankenden Licht der Kette konnte er plötzlich etwas erkennen, was ihm zuvor nicht aufgefallen war:
Etwas...
Auf den ersten Blick sah seine Mutter normal aus. Sie sah so aus, dachte Andy, wie sie schon immer ausgesehen hatte: Wunderschön und ohne einen einzigen Makel. Sie war heil und unverletzt und das Sommerkleid, das sie trug, sah frisch und blumig aus, so als sei sie gerade hineingeschlüpft.
Andy ließ sich jedoch nicht täuschen. Denn dieser tröstende Anblick dauerte nicht lange. Kaum schwang die Kette nämlich erneut in ihre Richtung, änderte sich auch das Aussehen seiner Mutter schlagartig. Es war beinahe so, als würde das gleißende Licht mit Leichtigkeit die Fassade durchdringen, an der Andys Blicke immer wieder aufs Neue scheiterten.
Und was dahinter zum Vorschein kam, hatte nichts mit dem Bild gemeinsam, an das Andy sich seit seinem Aufbruch so sehr geklammert hatte. Die Schönheit verblasste im Handumdrehen und dahinter kam wieder das gleiche Monster zum Vorschein, das an jenem Morgen über Andy hergefallen war. Das Monster, dachte er, das sein Blut vom Treppenabsatz geleckt hatte wie ein Hund.
Die Augen der Kreatur glühten und ihr Maul zitterte in einem Ausdruck freudiger Erregung. Die Kehle der Bestie war komplett zerfetzt und auf der rechten Stirnseite konnte Andy klar und deutlich das Einschussloch erkennen. Es war ein gezackter Krater mit verschorften Rändern, die ein blutiges Gewirr aus Knochen und Gehirnmasse rahmten.
Doch auch dieser Anblick dauerte nicht lange. Kaum schwang die Kette zurück, schien erneut alles wieder normal zu sein. Es war beinahe so, als hätte das schreckliche Bild zuvor gar nicht existiert.
Als wäre es nichts weiter...
...als ein Hirngespinst.
Doch selbst dieser kurze Augenblick hatte ausgereicht, um Andys Zweifel zu bestärken. Seine Finger verkrampften sich noch fester um die Kette, während er unentwegt in das Wechsels piel des Wahnsinns blickte, das sich direkt vor seinen Augen zutrug. Immer und immer wieder schwang die Kette vor und zurück und offenbarte ihm dabei zwei Anblicke, die nicht unterschiedlicher hätten sein können.
Mom.
Monster.
Mom.
Monster...
Mo…
Andys Verstand war in diesem fortwährenden Trugbild gefangen und er wusste noch immer nicht, was er tun sollte.
Doch obwohl seine gesamte Aufmerksamkeit der stetigen Verwandlung seiner Mutter galt, entging ihm dennoch nicht, wie sich eine weitere Gestalt aus den Schatten schälte und langsam auf ihn zukam.
Andy wandte sich um und im gleichen Augenblick erkannte er ihn.
Es war...
101.
Verrückt.
Der ganze Fall war verrückt.
Was noch vor wenigen Tagen...
...Stunden...
...nur eine Vermutung gewesen war, begann sich inzwischen zu bewahrheiten.
Der Fall war wirklich verrückt – daran bestand für Peter inzwischen überhaupt kein Zweifel mehr.
Das Schlimmste für ihn war jedoc h die Tatsache, dass er dieser Gewissheit derart wehrlos gegenüberstand. Mit einem Mal schien die Realität dicke Risse bekommen zu haben und noch ehe er sich versah, war er in den Wahnsinn eingebrochen wie in einen zugefrorenen See. Hinab, dachte er, in die eisige Dunkelheit, die seine Gedanken lähmte und seine Instinkte täuschte.
Nichts war mehr so, wie es anfangs geschienen hatte. All die Anstrengungen, die er in den vergangenen Monaten auf sich genommen hatte, um Claire Hagen zu find en, kamen ihm mit einem Mal vor wie blanker Hohn. Er war von Anfang an auf dem Holzweg gewesen und genau in diesem Augenblick wurde er sich dessen auch wirklich bewusst.
Und jetzt, dachte Peter, da sich sämtliche Schleier gelichtet hatten und der Wahnsinn unverhohlen sein hässliches Antlitz zeigte, war er unwiederbringlich auf dem Weg...
... ins Verderben.
Auch daran bestand für ihn kein Zweifel mehr.
Denn anstatt Claire zu verhaften, hatte er sich mit ihr eingelassen. Hatte die Maschinenpistole vom Boden aufgehoben und sich mit dem Feind verbrüdert, weil er ansonsten keinen Weg mehr gesehen hatte, lebend aus der Sache herauszukommen. Der Anblick von Ginsbergs geköpftem Leichnam hatte die Schaltkreise der Vernunft unterbrochen und zu einem gewaltigen Kurzschluss geführt.
Der Fall, die Beförderung und der damit unweigerlich verbundene Ruhm – all das war angesichts der kopflosen Leiche schlagartig in den Hintergrund gerückt.
Das Ei
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