Fleisch und Blut - Der Kannibale
verteilt lagen Zähne, zweifelsfrei zu erkennen. Verwirrt schaute Köppel zu seinem Vorgesetzten hinüber und folgerte: «Da ist nicht einfach einer gestorben und die Tiere haben sich hinter das Fleisch gemacht. Nein. Da wurde jemand ermordet! Zähne ausgerissen… Und was hat der wohl alles sonst noch gemacht? Wer tut so etwas? Und warum?!» Köppel war ausser sich.
Aemisegger schluckte, er war für einen kurzen Moment unfähig, Köppel eine Antwort zu geben.
Kunz rannte panisch durch das Laub zurück zu seinem Wagen. Aemisegger folgte ihm mit strammen Schritten. Nur Köppel konnte sich nicht von der Fundstelle losreissen. Er musste alles eingehend betrachten. Noch nie hatte er so etwas gesehen. Haargenau prägte er sich jedes Detail ein, schoss Fotos mit seinem iPhone und wartete ungeduldig auf Kägi und die Spurensicherung.
Wie ein Tier
Aemisegger hatte keine Sekunde geschlafen. Träume hatten ihn die ganze Nacht hindurch geplagt. Grauenvolle Bilder von menschlichen Skeletten, die blutspuckend, wild um ein Feuer tanzten, sich gegenseitig die Zähne zogen. Am meisten Furcht in ihm hatte aber dieses hysterische Lachen erregt. Aemisegger stand hilflos mitten drin: umschlichen von den Zombies, gefesselt an einen dicken Baumstamm. Die Skelette näherten sich ihm, tanzten um ihn herum, spuckten ihm ins Gesicht und streiften mit den Fingerknochen seinen Hals. Er hörte es wieder – dieses giftige Lachen. Es hörte nicht auf. Der Wecker mit seinem schrillen Ton läutete unaufhörlich. Schweissgebadet schoss Aemisegger hoch. Er, der routinierte Kommissar. Nein, er hatte doch keine Angst, redete er sich ein.
«Guten Morgen, Aemisegger, haben Sie gut geschlafen?», fragte ihn Köppel. Aemisegger starrte ihn an, als sässe eine skalpierte Leiche vor ihm.
«Ähm. Ja, ja. Haben wir schon einen Laborbericht auf dem Tisch?», lenkte er geschickt auf den Fall über.
«Nein. Kägi versprach uns den Bericht auf zwölf Uhr.»
«Es ist fünf vor zwölf.»
«Wenn man vom Teufel spricht, steht er in der Tür!», scherzte Köppel und begrüsste den hereintretenden Untersuchungsmediziner.
In ganz seltenen Fällen überbrachte Dr. Kägi den Bericht persönlich.
«Wir haben Neuigkeiten für Sie! Wir haben auf Hochtouren gearbeitet, mit verschiedenen Spezialisten, und schon einiges herausgefunden. War nicht ganz einfach in so kurzer Zeit.»
«Von Ihnen habe ich nichts anderes erwartet! Trotzdem: gratuliere! Und, was ist herausgekommen – kennen wir die Identität des Opfers?»
«Ja. Wir konnten das Opfer identifizieren.» Kägi antwortete besorgt.
«Ja und?»
«Das Opfer heisst Lukas Brennwald, er war zweiundvierzig Jahre alt und lebte in Zürich.»
«Saubere Arbeit, Kägi!», lobte ihn Aemisegger. Er fühlte genau, dass noch etwas im Busch war.
«Wir konnten ihn anhand der Zähne identifizieren. Sein Mörder hat es uns nicht leicht gemacht, indem er die Zähne lose verstreut hat. Doch unsere Männer von der Spurensicherung haben an der Fundstelle bis auf einen Zahn lückenlos alle gefunden und aufgesammelt. Einige Zähne waren plombiert. Wir konnten das Gebiss rekonstruieren.»
«Sie haben wohl kaum über Nacht alle Zahnärzte für den Gebissvergleich angefragt?»
«Nein. Dazu hätten wir viel mehr Zeit gebraucht.»
«Das müssen Sie uns schon genauer erklären. Mit Zahnärzten habe ich es weniger. Wie sind Sie denn so schnell auf die Identität gestossen?»
«Aufgrund einer Vermisstenanzeige im Polizeicomputer. Sie erinnern sich an die Meldung vor knapp zwei Wochen, als Herr Remo Iseli seinen Mitbewohner als vermisst gemeldet hat?»
«Klar!», antwortete Köppel emsig. Schliesslich hatte er Iselis Aussage protokolliert.
«Da der verschwundene Mann vom Alter her auf das errechnete Alter des Knochenfundes passte, sind wir dieser Spur gefolgt und haben den behandelnden Zahnarzt von Lukas Brennwald kontaktiert. Der Erfolg war mit uns: der Abgleich seines Gebisses war identisch. Ein Versuch – ein Volltreffer.»
«Somit ist die Identität mit hundertprozentiger Sicherheit geklärt.»
«Das Opfer heisst also Lukas Brennwald?» Aemisegger tippte im Polizeicomputer den Namen ein und stiess sofort auf die Vermisstenanzeige, die im System hinterlegt war.
«Köppel, informieren Sie die Eltern von Lukas Brennwald. Ich knöpfe mir den Mitbewohner vor.»
«Das kann ich mir sparen. Ich erinnere mich, wie Iseli uns im Zusammenhang mit der Vermisstenanzeige informierte, dass
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