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Fleisch und Blut

Fleisch und Blut

Titel: Fleisch und Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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ausgesetzt war. Ist das nie zur Sprache gekommen, als sie bei dir in Therapie war?«
    »Sie hat sich über ihre Eltern beklagt, aber von Gewalt hat sie nie gesprochen. Allerdings war die Therapie auch kaum der Rede wert.«
    »Zwei Sitzungen.« Er rieb sich über das Gesicht. »Fünfundzwanzig Jahre alt, und was hatte sie abgesehen von einer schicken Garderobe vorzuweisen? ... Menschen und ihr Müll. Zwei schöne Berufe, die wir beide haben.«
    »Hey«, sagte ich. »Klassen besser, als reich und entspannt zu sein.«
    Er lachte. »Du wirst mich nicht noch mal dabei erwischen, wie ich das zugebe, aber dein Job ist vielleicht noch etwas härter als meiner.«
    »Warum das?«
    »Ich weiß, wie die Menschen sind. Du versuchst sie zu ändern.«
     
    Als ich auf den Laurel Canyon einbog, rief er den Polizeibeamten in Laurens Wohnung an und erfuhr, dass Andrew Salander noch nicht zurückgekommen war. Ich sagte: »Er hat die Nachtschicht.« »Hast du Lust, mit ins Cloisters zu kommen?« »Klar«, sagte ich. »Eins meiner Lieblingslokale.« Er lachte erneut. »Ja, jede Wette. Bist du schon mal in einer Schwulenbar gewesen?«
    »Du hast mich in eine ausgeführt«, antwortete ich.
    »Daran erinnere ich mich nicht. Wann?«
    »Vor Jahren«, sagte ich. »Winzig kleiner Laden drüben in Studio City. Discomusik, Kampftrinken und jede Menge Typen, die dir überhaupt nicht ähnlich sahen. Hinter Universal City auf der Rückseite einer Karosseriewerkstatt.«
    »O ja«, sagte er. »The Fender. Ist schon vor langer Zeit dichtgemacht worden - ich hab dich tatsächlich dahin mitgenommen?«
    »Direkt nach unserem ersten gemeinsamen Fall - der Händler-Mord. Als Erklärung hab ich mir zurechtgelegt, dass sich freundschaftliche Bande zwischen uns entwickelten und du immer noch nervös warst.«
    »Weswegen?«
    »Weil du schwul warst. Du hattest schon das große Geständnis abgelegt. Ich war nicht übermäßig abgestoßen, aber du hast dir wahrscheinlich gedacht, ich müsste noch ein bisschen auf die Probe gestellt werden.«
    »Ach, hör auf«, sagte er. »Auf was für eine Probe?«
    »Die Toleranzprobe. Ob ich wirklich damit umgehen konnte.«
    »Warum erinnere ich mich an überhaupt nichts davon?«
    »Weil du in die Jahre kommst«, sagte ich. »Ich kann das Lokal exakt beschreiben: Aluminiumdecke, schwarze Wände, Donna Summer vom Tonband, Typen, die paarweise rausgingen.«
    »Wow«, sagte er. Dann nichts mehr.
    Ein paar Meilen später sagte er: »Du warst nicht übermäßig abgestoßen. Das heißt?«
    »Das heißt, klar, es hat mich umgehauen. Als ich aufwuchs, wurden tuntige Knaben auf dem Schulhof zusammengeschlagen, und ›Homo‹ war zulässiger Sprachgebrauch. Ich hab nie jemanden verprügelt, aber ich bin auch nie eingeschritten, um es zu verhindern. Als ich anfing zu arbeiten, lag der Schwerpunkt meiner Tätigkeit bei traumatisierten Kindern, und Homosexualität war kaum ein Thema. Du warst der erste Schwule, den ich privat kennen gelernt habe. Du und Rick, ihr seid immer noch die einzigen Schwulen, die ich näher kenne. Und bei dir bin ich manchmal nicht so ganz sicher.«
    Er lächelte. »Aluminiumdecken ... Typen, die mir nicht ähnlich sahen, hmm? Wem sahen sie denn sonst ähnlich?«
    »Eher Andrew Salander.«
    »Da siehst du mal«, sagte er. »Ich bin der große Individualist.«
     
    Das Cloisters war auf der Hacienda, unmittelbar im Norden des Santa Monica Boulevards, unauffällig in die graue Seitenwand eines zweistöckigen Gebäudes integriert. Es war fast drei Uhr nachts, aber im Gegensatz zu dem postnuklearen Schweigen im Valley waren die Straßen hier voller Leben, von einem steten Scheinwerferstrom erleuchtet, Straßencafes bedienten immer noch eine geschwätzige Kundschaft, die Bürgersteige waren voller Fußgänger, von denen die meisten, aber nicht alle, männlich waren. West Hollywood war einer der ersten Stadtteile von L. A. mit einem eigenen Nachtleben. Inzwischen kommen nach Einbruch der Dunkelheit Spaziergänger in Beverly Hills, Melrose und Westwood zum Vorschein. Eines Tages wird Los Angeles vielleicht erwachsen und zu einer richtigen Stadt.
    Ich fand etwas weiter die Straße hoch einen Parkplatz, und wir gingen zum Eingang. Da kein Türsteher Dienst schob, traten wir direkt ein. Ich hatte mir den Luxus einer Vorhersage erlaubt und erwartete, dass das Lokal sich durch gemauerte Wände, Refektoriumsfenster und gruftige Düsternis auszeichnete. Stattdessen war es in einem gebrochenen Weiß verputzt, die indirekte

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