Fleischeslust - Erzaehlungen
im Schädel versunken. »Raus aus meinem Haus, ihr schwulen Verbrecher und Rauschgiftsüchtigen, und auch ihr« – hier wandte sie sich an mich und Ricky –, »ihr sogenannten Fans und Verehrer, ihr seid ja noch viel schlimmer. Geht zurück, wo ihr hergekommen seid, und laßt meinen Jacky in Frieden.« Sie erhob den Schürhaken gegen mich, ich duckte mich automatisch, und sie zertrümmerte die Tischlampe. Mit einem Blitz und Krachen explodierte die Lampe, die Furie trat einen Schritt zurück, schwang den Schürhaken wie ein Lasso über dem Kopf. »Raus!« keifte sie, und die ganze Truppe, sogar Bill, hastete in Richtung Tür.
Jack tat nichts, um sie zu bremsen. Er sah uns mit seinem grüblerischen, lässig-angelehnten Beat-Holzfällerblick an, aber da war noch etwas anderes, etwas Neues, und während ich rückwärts zur Tür hinauswich, in die eklige, rauhe Ostküstennacht, wußte ich, was es war: der Blick eines verzogenen, schmollenden Muttersöhnchens. »Geht heim zu euren Müttern, ihr allesamt!« krakeelte uns Mémère hinterher und fuchtelte noch einmal mit dem Schürhaken in unsere Richtung, als wir mit offenem Mund auf der toten, braunen, eisüberzogenen Grasnarbe vor ihrem Haus standen. »Du lieber Gott«, schluchzte sie, »es ist Weihnachten!« Und dann knallte sie die Tür zu.
Ich war wie im Schock. Ich sah zu Bill, Allen und Neal, und die waren ebenso verdattert wie ich. Und die arme Ricky – sie hatte nichts weiter an als Jacks Seemannsjacke, und ich sah die winzigen nackten perfekten Zehen an den süßen Füßen dieser kessen Beat-Biene, die an der Erde festfroren wie kleine Skulpturen aus Eis. Ich faßte mir an den Kopf, um meine Baskenmütze zurechtzurücken, und merkte, daß sie nicht da war, und das war, als hätte jemand die Luft aus mir herausgelassen. »Jack!« rief ich, und meine brüchige Teenagerstimme wurde zu einem verzweifelten Blöken. »Jack!« schrie ich. »Jack!« aber die Nacht ballte sich um uns zusammen, und es kam keine Antwort.
Was von da an passierte, ist eine lange Geschichte. Um es kurz zu machen: ich befolgte Mémères Rat und ging heim zu meiner Mutter, und als wir dort ankamen, war bei Ricky schon die Periode ausgeblieben. Meine Mutter war zwar nicht eben erfreut, aber wir zogen zu zweit in mein Zimmer ein, wohnten dort einen Monat lang unter den labbrigen Footballwimpeln und Dinosaurierpostern und all diesem Zeug, bis wir es einfach nicht mehr aushielten, und dann suchte sich Ricky, diese abgefahrene, herrlich süße Beat-Madonna-von-der-Straße, eine ultrabeatmäßige Einzimmerwohnung am anderen Ende der Stadt, ich besorgte mir bei der Southern Pacific Railroad einen Job als Bremser, und sie ließ mich bei sich unterschlüpfen, und das war’s dann. Wir kifften, zündeten Kerzen und Räucherstäbchen an, schütteten uns Wein rein und vögelten, bis wir wund waren. Die ersten vier Jungs nannten wir Jack, Neal, Allen und Bill, obwohl wir ihre Namensvettern nie wieder zu Gesicht bekamen, außer Allen, bei einer dieser Dichterlesungen, aber da tat er so, als hätte er uns noch nie gesehen. Das erste der Mädchen nannten wir Gabrielle, nach Jacks Mutter, und danach haben wir wohl irgendwie den Überblick verloren und nannten sie einfach nach dem Monat, in dem sie geboren wurden, ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht, und so hatten wir am Ende gleich zwei Junes – June den Jungen und June das Mädchen –, aber das war nicht weiter schlimm.
Yeah, ich war Beat, ich war noch viel mehr Beat als sie alle – oder jedenfalls genauso Beat. Wenn ich so zurückblicke, nach den vielen Jahren, wenn ich an die Hypothekenzahlungen denke und an Rickys Entzug und daran, wieviel Geld die Kinder im College kosten, und wie meine Schreinerwerkstatt über der Garage abgebrannt ist und wie verflucht kleinbürgerlich-vorrevolutionär-schweinemäßig knausrig die Frühinvalidenrente von der Eisenbahn ist, dann frag ich mich manchmal, ob ich heute noch ein abgefahrener, fertiger Beat-Typ bin oder einfach nur fix und fertig. Andererseits – ich fände vermutlich nicht die Worte, das zu beschreiben.
Der Nebelmann
Er ratterte zweimal die Woche mit seinem alten Army-Jeep durch unsere Siedlung, hinter sich eine wallende Dunstwolke, die alle Bäume im Nirgendwo verschwinden ließ, Hügel verflachte und Häuser verschluckte, Fords, Chevys und Studebakers auslöschte, als wären sie ebenso körperlos wie die Luft, und ansonsten die Welt zu unserem Vergnügen verwandelte: Sträucher wurden zu
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