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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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bekam Mémère ihre Rolle in der Geschichte. Irgendwas brodelte in ihr, sie war zornrot im Gesicht, zog die Schultern hoch und in ihr loderte eine weißglühende, siedendheiße, nicht zu bändigende Wut, aber sie servierte uns die Pfannkuchen, und wir aßen sie in einer gabelschwenkenden, sirupvergießenden, butterverstreichenden Beat-Kommunion, während Allen über den inneren Weg rhapsodisierte und Jack uns Wein einschenkte. Im nachhinein betrachtet, hätte ich ein bißchen besser auf Jacks Mutter und ihre Launen achtgeben sollen, aber ich schob mir die Pfannkuchen nur so rein, aalte mich im abgefahrenen Beat und achtete einfach nicht auf ihre stechenden Blicke und das Pfannengeklapper. Anschließend ließen wir unsere Beat-Teller stehen, wo wir sie leer gegessen hatten, und stürmten ins Wohnzimmer, um ein paar Scheiben abzuhören und auf die Bongos einzutrommeln, während Allen einen wirbligen Tanz tanzte und auf der Holzflöte blies und Bill die ganze Zeit in den langen Tunnel seines Ichs hineinstarrte.
    Was soll ich sagen? Die Legenden waren versammelt, wir schnitten die Benzedrininhalatoren auf und schluckten die kleinen sattgetränkten Filzstreifen darin, feierten ein Fest mit grünem Gras und machten auch noch einen fertigen Beat-Gang zum Schnapsladen, um Wein und noch mehr Wein zu holen. Als es Abend wurde, spürte ich, wie die Flügel des Bewußtseins von meinem Rücken abkoppelten, und meine Erinnerung an die Ereignisse danach ist grandios, aber verschwommen. Irgendwann – gegen acht? neun? – wurde ich durch ein Schnüffeln und mühsam niedergekämpftes Schluchzen aus der Beatnik-Benommenheit eines siebzehnjährigen Newcomers geweckt. Ich öffnete die Augen und sah vor mir die bis auf eine Seemannsjacke nackte Gestalt von Ricky Keen. Offenbar lag ich auf dem Boden hinter dem Sofa, begraben unter einer dicken Schicht Spitzendeckchen, Sesselschoner und zerknüllten Zeitungen, die Lichter des Weihnachtsbaums flackerten an den Wänden, und Ricky Keen stand mit ihren nackten Beinen über mir, weinend und schluchzend, und betupfte sich die feuchten Seen ihrer Augen mit den Enden ihres langen, abgefahrenen Haars. »Was«, fragte ich, »was ist denn los?« Sie schwankte hin und her, wiegte sich auf den bloßen Füßen, und ich bewunderte unwillkürlich ihre Knie und die Art, wie ihre nackten jungen Tramperschenkel daraus emporstrebten, um im Faltenwurf der Jacke zu verschwinden.
    »Es ist wegen Jack«, jammerte sie, und das süße Schaben ihrer Stimme blieb ihr in der Kehle stecken, und dann kniete sie über meinen ausgestreckten jeansumhüllten Beinen wie eine Büßerin.
    »Jack?« wiederholte ich dümmlich.
    Ein Augenblick der Stille, tief und hingebungsvoll. Keine kitschigen Choräle erklangen aus dem Küchenradio, ich hörte weder wilden zähnefletschenden Jazz noch dröhnende indische Sutras vom Plattenspieler, da war kein Allen, kein Jack und keine Mémère. Wäre ich in der Lage gewesen, mich aufzusetzen und den Kopf über die Sofalehne zu strecken, hätte ich gesehen, daß das Zimmer völlig leer war bis auf Bill, der immer noch in seinem komatösen Tagtraum verharrte. Ricky Keen saß auf meinen Knien. »Jack will mich nicht«, sagte sie ganz leise, so daß ich kaum merkte, daß sie überhaupt sprach. Und dann, schmollend: »Er ist betrunken!«
    Jack wollte sie nicht. Ich verdaute diese Information, stellte schildkrötenartig langsam Verbindungen her, während Ricky Keen mit ihren goldenen Augen und den langen Haaren auf meinen Knien hockte, und schließlich fragte ich mich: Wenn Jack sie nicht will, wer dann? Ich hatte in dieser Hinsicht nicht allzuviel Erfahrung – meine Abenteuer mit dem anderen Geschlecht beschränkten sich auf sehnsüchtige Blicke in der Schule und gelegentliches Gefummel im Kino –, aber ich war bereit, etwas dazuzulernen. Ach was, begierig war ich.
    »Jungfrau sein ist total beschissen«, stieß sie hervor, dabei knöpfte sie die Jacke auf, und ich setzte mich auf und nahm sie in die Arme – drückte mich keuchend und schwitzend und sexhungrig und teeniehaft an sie, ja wirklich –, und wir küßten einander und erforschten keuchend unsere Körper in einer wabernden Wolke aus abgefahrener Beat-Glückseligkeit und heiliger Verzückung. Viel später lag ich ausgestreckt da, noch bebend von dem süßen Zauber und Reiz, während Ricky sich sanft in meinen rechten Arm schmiegte, als plötzlich die Eingangstür aufflog und die weltweit wildeste, benzedrinbedröhnte,

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