Fleischeslust - Erzaehlungen
ostwestküstenweite Hep-Stimme das Zimmer erhellte wie ein Buschfeuer. Ich setzte mich auf. Tastete nach meiner Hose. Hielt den Kopf der verdatterten Ricky im Arm.
»Ho, ho, ho«, donnerte die Stimme. »All ihr kleinen Jungs und Mädels, seid ihr auch schön brav gewesen? Ich hab alles gesehen!«
Ich schob den Kopf über die Sofalehne, und da war er, cool und geheimnisvoll. Ich traute meinen Augen nicht: es war Neal. Gerade entlassen aus San Quentin, stampfte er jetzt als Weihnachtsmann verkleidet ins Haus, einen Sack voll Schnaps, Drogen, Zigaretten und Dosenschinken über die Schulter geworfen, mit den Händen auf unsichtbare Bongos eintrommelnd. »Rauskommen, rauskommen, wo immer ihr seid!« rief er und zerfloß in einem Meer aus Gekicher. »Ich find schon raus, wer hier brav und wer böse gewesen ist, ja, das werd ich.«
In diesem Augenblick stürmte Jack aus der Küche herein, wo er und Allen ein kleines Schläfchen bei einem Krug Wein gehalten hatten, und nun fingen die wilden Zeiten erst richtig an, die Zeit des Schulterklopfens und des abgefahrenen Abklatschens, des Kiffens und des improvisierten Singens, eben die Beat-Fete des Jahrhunderts. Ricky Keen erwachte schnaubend, wickelte die Seemannsjacke um sich und tauchte hinter dem Sofa auf wie eine Beat-Prinzessin, ich griff nach dem Wein, Jack heulte wie ein Hund, und sogar Bill rollte kurz die Augen im Schädel, um so zu tun, als wäre er am Leben. Neal konnte einfach nicht aufhören zu reden und zu trinken und zu rauchen und wie ein Derwisch durchs Zimmer zu wirbeln, Allen brüllte: »Miles Davis!« Der Plattenspieler sprang an, und dann tanzten wir alle, sogar Bill, obwohl er nie aus seinem Sessel aufstand.
Das war der krönende Augenblick meines Lebens – ich war Beat, endgültig und absolut –, und ich wollte, es würde immer so weitergehen. Und das wäre es auch, wäre da nicht Jacks Mom gewesen, jene breitschultrige, wutschnaubende alte Frau in dem Kleid mit dem weihnachtlichen Muster. Die ganze Zeit war sie nicht zu sehen gewesen, und ich hatte sie in der wahnwitzigen Explosion des Augenblicks völlig vergessen – erst als Jack seinen Moralischen kriegte, tauchte sie auf einmal wieder auf.
Es war ungefähr gegen zwölf. Jack, der etwas weinerlich geworden war, stimmte eine A-cappella-Version von »Vom Himmel kam der Engel Schar« an und versuchte uns zu bequatschen, gemeinsam zur Mitternachtsmesse in die Sankt-Columbanus-Kirche zu gehen. Allen meinte, er habe nichts dagegen, außer daß er Jude sei; Neal veralberte das Ganze als Gipfelpunkt kitschiger, bürgerlicher Sentimentalität, Bill hatte Probleme, seine Lippen zu bewegen, und Ricky Keen sagte, sie sei Unitarierin und nicht ganz sicher, ob sie das brächte. Dann wandte sich Jack tränenüberströmt an mich. »Buzz«, sagte er, und er hatte einen irren schmeichlerischen Unterton in der Stimme, als wär’s die riesigste Sache der Welt, »Buzz, du bist ein guter Katholik, ich weiß, daß du das bist – was meinst du ?«
Alle Blicke waren auf mich gerichtet. Plötzlich dröhnte Stille durchs Haus. Ich war sturzbesoffen, voll drüber, siebzehn Jahre alt. Jack wollte zur Mitternachtsmesse gehen, und es lag an mir, ja oder nein dazu zu sagen. Ich stand reglos da und überlegte mir, wie ich Jack beibringen konnte, daß ich Atheist war und Gott, Jesus und meine Mutter haßte, die mich fünfmal die Woche in die Kirchenschule geschickt hatte, seitdem ich laufen konnte, und jeden Sonntag zum Kindergottesdienst. Mein Mund bewegte sich, aber es kam nichts heraus.
Jack zitterte. Über dem rechten Auge hatte ein Zucken eingesetzt. Er ballte die Fäuste. »Laß mich nicht im Stich, Buzz!« brüllte er, und als er auf mich losging, versuchte Neal, ihn aufzuhalten, doch Jack wischte ihn beiseite, als wäre er gar nichts. »Mitternachtsmesse, Buzz, Mitternacht!« grölte er, und dabei stand er direkt vor mir, total fertig und beatirre, und ich konnte den Fuselgestank seines Atems riechen. Er senkte die Stimme. »Dafür verfaulst du in der Hölle, Buzz«, zischte er, »verfaulen sollst du.« Allen packte ihn am Arm, aber Jack schüttelte ihn ab. Ich wich einen Schritt zurück.
In diesem Augenblick erschien Mémère auf der Bildfläche.
Sie stürmte ins Zimmer wie eine Figur aus einem japanischen Monsterfilm, massig in ihrem Nachthemd, die fetten Altweiberzehen darunter hervorlugend wie Würstchen, und sie ging direkt auf den Kamin zu und packte den Schürhaken. »Raus!« kreischte sie, die Augen tief
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