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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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total nutzlos – ebensogut hätten wir Chanel N°-5 versprühen können, das hätte auch nicht mehr gebracht. Man muß bedenken, daß die Menschen da Tag und Nacht buchstäblich von Insekten bedeckt waren – und daß sie kaum Kleidung auf dem Leib trugen, verschärfte das Problem natürlich noch. Meine Herren, wenn Sie können, stellen Sie sich einen nackten kleinen Jungen vor, zwei Jahre alt und ganz schwarz von Fliegen und Moskitos, so daß er aussieht, als hätte er Trainingshosen an, daneben seine junge Mutter, derart von der Malaria geschüttelt, daß sie nicht mal eine Diet Coke zum Mund heben kann – es war entsetzlich, einfach entsetzlich, wie im tiefsten Mittelalter... Na, jedenfalls wurde die Entscheidung getroffen, DDT einzusetzen. Kurzfristig. Nur um die Situation erst mal unter Kontrolle zu bringen, Sie verstehen.
    Ja, so ist es, Senator, DDT : Dichlordiphenyltrichloräthan.
    Ja, desen bin ich mir bewußt, Sir. Aber nur weil wir es für den Inlandsmarkt verboten haben, und zwar unter dem Druck von Vogelschützern und ein paar Haschbrüdern bei der Umweltbehörde, heißt das ja nicht automatisch, daß auch alle anderen Länder – vor allem die Entwicklungsländer – gleich auf diesen Zug aufspringen müssen. Und genau das ist das Schlüsselwort, Senator: Entwicklung . Man muß sich mal klarmachen, daß wir hier von Borneo reden, nicht von Port Townsend oder Enumclaw, Washington. Die Menschen dort haben keinen Schimmer von sanitären Einrichtungen, Schädlingsbekämpfung, Krankheitsvorsorge – ja nicht mal von Körperpflege und Hygiene, wenn wir’s auf den Punkt bringen wollen. Da kommen im Jahr dreitausend Millimeter Niederschläge runter, Minimum. Diese Leute graben sich im Urwald Wurzeln aus der Erde. Liebe Güte, am Oberlauf des Rajang gibt’s heute noch Kopfjäger.
    Und vergessen Sie bitte nicht, daß die uns um unseren Einsatz gebeten , ja geradezu angebettelt hatten – und nicht nur die Weltgesundheitsorganisation, sondern auch der Sultan von Brunei und die Regierung in Sarawak. Wir taten, was wir konnten, um ihrem Wunsch nachzukommen und unser Ziel in kürzester Zeit und mit möglichst durchgreifenden, wirksamen Mitteln zu erreichen. Also auf dem Luftweg. Logisch. Und niemand hätte die Konsequenzen voraussehen können, niemand, selbst wenn wir hergegangen wären und hundert solcher Umweltverträglichkeitsberichte hätten erstellen lassen – das ist ganz einfach passiert, eine Laune des Schicksals, und davor kann man sich nicht schützen. Jedenfalls nicht daß ich wüßte...
    Raupen? Ja, Senator, das ist zutreffend. Das war das erste Zeichen: die Raupen.
    Aber lassen Sie mich da bitte etwas weiter ausholen. Sehen Sie, da draußen im Busch haben sie diese Dächer, die mit Palmwedeln gedeckt sind – die sieht man übrigens auch in den Städten, sogar in Bintulu und Brunei –, und die sind sogar ziemlich effektiv, Sie würden staunen. Dreitausend Millimeter Regen, da müssen die sich schon was ausdenken, damit das nicht alles in die Hütte fließt, und seit Jahrhunderten funktionierte das mit den Palmwedeldächern. Na, also, etwa einen Monat nachdem wir zum letztenmal gesprüht hatten, ich sitze gerade in meinem Wohnanhänger am Schreibtisch, denke über das Entwässerungsprojekt in Kuching nach und genieße es sehr, daß ich erstmals seit ungefähr einem Jahr nicht dauernd Massen von Moskitos auf meinem Nacken totschlagen muß, da klopft es an der Tür. Herein kommt ein älterer Herr, von Kopf bis Fuß tätowiert, bekleidet mit nichts als einem Paar Sportshorts – diese Shorts lieben sie übrigens, den glänzenden Stoff und die sauberen Maschinennähte, das ganze Land steht drauf, Männer, Frauen, Kinder, die können gar nicht genug von den Dingern kriegen... Na, jedenfalls ist er das Oberhaupt des Nachbardorfs, und er ist sehr aufgeregt, irgendwas wegen einem Dach – atap ist das Wort dafür. Sonst sagt er nichts, nur atap, atap , immer wieder.
    Es regnet natürlich. Da regnet’s immer. Also streif ich mir die Regenhaut über und werf meinen Vierradantrieb an, um’s mir anzusehen. Und tatsächlich, alle diese atap -Dächer sind am Einkrachen, nicht nur in seinem Dorf, sondern in unserem gesamten Zielgebiet. Die Menschen sitzen zusammengekauert in ihren Turnhosen herum, ziemlich jämmerlicher Anblick, und ein Dach nach dem anderen fällt zusammen, höchst eigenartig, und langsam bemerke ich, daß in der Tirade des Häuptlings eine neue Vokabel aufgetaucht ist, die mir damals noch

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