Fleischeslust - Erzaehlungen
gespielt, und jetzt, weil ihnen die Leute fehlten und weil er sein großes Maul aufgerissen hatte, würde er doppelten Einsatz bringen müssen. Würde er die Kraft dazu haben? Oder würde er auf Puddingbeinen übers Feld tappen, beiseite gerempelt von den mit Steroidhormonen vollgepumpten Evolutionskrüppeln der State University wie der arme, bemitleidenswerte kugelrunde Fettsack, zu dem er bald werden würde? Aber nein. Genug davon. Wer wie ein Verlierer dachte – wer auch nur eine Minute lang zweifelte –, der war verdammt und verdiente ein 56:0 oder Schlimmeres.
Um Viertel vor sieben stieg er aus dem Bett und stellte sich in der Unterhose mitten im Zimmer auf, pflügte mit dem massigen Rammbock seines Gipsarms durch die Luft und pumpte sich Mut in die Knochen. Mit einemmal fühlte er sich unbesiegbar und begnadet, zu allem fähig. Die Blutergüsse, das zugeschwollene Auge, das Stechen in der Hüfte und die wackligen Knie waren nur noch eine verblassende Erinnerung. Am Dienstag hatte er die Arme nicht einmal auf Schulterhöhe heben können, ohne Schmerzen zu leiden, am Mittwoch war er schon um das Spielfeld getrabt, auch wenn sich seine Beine noch anfühlten wie Brückenpfeiler. Der probeweise Kampf um den Ball am Donnerstag hätte seiner Meinung nach länger ausfallen können, und durch das Aufwärmtraining am Vortag war er wie ein Sprinter geflitzt. Er war so bereit, wie er es nur sein konnte.
Um sieben Uhr fünfzehn stapfte er durch das schlechte Wetter in die Mensa, um sich mit Kohlenhydraten vollzustopfen, und um acht stand er wie ein Koloß im Flur von Suzies Wohnheim. Der ganze Campus hatte von seiner Rede in der Bloethal Hall gehört, und am Mittwoch abend war Suzie zu ihm zurückgekommen. Sie verbrachten die Nacht in seinem Zimmer – seiner sturmfreien Bude, solange Malmstein im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern lag –, und Suzie hatte alle seine blauen Flecken mit den Lippen nachgezogen und den Traktorenreifen seiner Bauchpartie gegen ihre eigene schmale, nackte Gestalt gedrückt. Jetzt begrüßte sie ihn mit nassem Haar und ohne jedes Make-up. »Wünsch mir Glück, Suze«, sagte er, und sie umarmte ihn kurz, ehe sie sich für das Spiel zurechtmachen ging.
Um halb eins versammelte Trainer Tundra sein Team im Umkleideraum und sprach aus freiem Herzen zu ihnen, gebrauchte all die militärischen Metaphern, die seine Männer immer ebensosehr verwirrten wie inspirierten, und dann trampelten sie aufs Spielfeld hinaus wie eine wahnsinnige Herde behufter und gehörnter Viecher, die Blut witterten. Die Menge brüllte. Caledonias Farben, Lindgrün und Orange, flatterten im Wind. Die Band spielte auf. Beim Aufwärmen sah Ray Arthur Larry-Pete Suzie und ihre Kommilitoninnen auf der Tribüne sitzen, ihr vanilleeisfarbenes Haar, den Mund weit aufgerissen in einem wilden, blutrünstigen Schrei. Und da, direkt hinter ihr – nein, es konnte nicht sein, unmöglich, aber es war so: seine Mutter. Sie saß neben der gewaltigen Gestalt seines Vaters, eingewickelt in ihren Anorak wie ein in einem Album gepreßtes Blatt, ihr Schädel schimmerte kahl durch die dünne Schicht gefärbter Haare, da war sie und reckte die Faust matt in die Höhe. Seine Mom ! Sie war dieses Jahr zu krank gewesen, um bei seinen Spielen dabeizusein, aber dies war sein letztes, sein allerletztes Spiel, und sie hatte das Leid und den unvorstellbaren Streß und Schmerz der Krebsstation niedergekämpft, nur um ihn stürmen zu sehen. Er spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen, als er nun selbst die Faust hob: dieses Spiel war ihr gewidmet.
Leider steckte Caledonia schon fünfzehn Sekunden nach Spielbeginn tief in der Scheiße: 7:0, dabei war Ray Arthur Larry-Pete noch nicht einmal auf dem Feld. Weil Hassan Farouk, Malmsteins Ersatzmann, den Ball beim Kickoff halb mit dem Unterschenkel getroffen hatte, holte das State-Team ihn problemlos an der Dreißiger-Linie aus der Luft und schwindelte sich dann sehr geschickt durch den gesamten Block hindurch bis in die Endzone, als wären die Caledonia-Spieler nur Wachsfiguren. Beim nächsten Anstoß ließ Bobby Bibby, ein fickriger Typ mit Butterfingern, den Ray Arthur Larry-Pete noch nie gemocht hatte, den Ball fallen, State schnappte ihn sich und lief glatt zum nächsten Touchdown durch. Das Spiel war gerade erst eine Minute alt, und schon stand es 14:0.
Ray Arthur Larry-Pete merkte, wie ihm der Mut sank, doch er sprang mit einem Brüllen von der Bank und knallte so kräftig mit dem Helm
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