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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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gegen Moss und DuBoy, daß er selbst fast bewußtlos wurde. »Los doch, Jungs!« bellte er. »Vier-zehn Punkte, das ist doch gar nichts, strengt euch an!« Und dann hielt Bibby den Ball fest, und Ray Arthur Larry-Pete war auf dem Feld, nahm gegenüber einem Kerl Aufstellung, der aussah wie ein Berg mit Beinen. Der Typ hatte einen langen Schnauzer, seine kleinen schwarzen Äuglein erinnerten an stechende Hornissen, und in seine rechte Augenhöhle senkte sich von oben eine lange, böse, wulstige Narbe, die auf der Wange wieder herauskam. Er war um die dreißig und trug die Nummer 95 quer über dem gewaltigen Brustkorb. »Du armseliger Sack Scheiße«, knurrte er, während Diderot den Code für die Ballabgabe ansagte. »Ich werd dich so umhauen, daß du flach auf dem Arsch liegst.«
    Und genau das tat er. Als McCornish den Ball fing, verspürte Ray Arthur Larry-Pete in der Gegend seines Brustbeins so etwas wie eine taktische Nuklearexplosion, und während Ray Arthur Larry-Pete zum Himmel emporglotzte, rannte Nummer 95 auch Diderot um. Im nächsten Augenblick sah Ray Arthur Larry-Pete über sich den Mannschaftsbetreuer und den Trainer – der bereits wieder mit seinem Vietnam-Vortrag anfing – und fühlte die ersten Schneeflocken auf seine weit aufgerissenen Augen niedersinken. »Steh schon auf und beweg dich!« fauchte der Trainer, ein halbes Dutzend Hände zog ihn auf die Beine, und schon nahm Ray Arthur Larry-Pete wieder geduckte Haltung an, direkt gegenüber Nummer 95. Und auch wenn er es sich nur äußerst ungern eingestand, auch wenn er hier für Suzie und seine Mutter und seine eigene rapide dahinschwindende Identität spielte, wußte er doch, daß es wahrlich ein verdammt langer Nachmittag werden würde.
    Zur Halbzeit stand es 35:0, und Trainer Tundra hatte sein Hosenbein schon hochgerollt, als das Team in den Umkleideraum gehumpelt kam. Frierend, fix und fertig, alle Bänder, Sehnen, Muskeln und Fasern zum Zerreißen gedehnt, hörten sie benommen zu, wie der Trainer über Geschütze, Landezonen und Schußfelder brabbelte, während der Betreuer und sein Assistent Leukoplast, Bandagen und die allgegenwärtigen Kältespraydosen verabreichten. Kitwanys Ersatzmann, ein massiger, formloser Studienanfänger mit rotem Gesicht, saß leise weinend in der Ecke, und Bobby Bibby, der im zweiten Viertel den Ball noch zweimal fallen gelassen hatte, zog sich, ohne zu duschen, um und ging zur Tür hinaus. Was Ray Arthur Larry-Pete Fontinot anging, so lag er rücklings auf den kalten harten Bodenfliesen. Jeder Krampf, jede Zerrung, jeder Schmerz und jede Prellung vom Spiel der Vorwoche war reaktiviert, und eine Unmenge von neuen Plagen bombardierte sein Nervensystem. Ebenso wie Moss und DuBoy hatte er in den ersten dreißig Minuten doppelten Einsatz geleistet – sowohl Angriff wie Verteidigung gespielt –, und seine Beine waren paralysiert. Als der Trainer in die Pfeife blies und rief: »Zum Angriff, Männer!«, mußte sich Ray Arthur Larry-Pete aufhelfen lassen.
    Das dritte Viertel war ein Delirium aus Schneetreiben, Schreien, Flüchen und Rufen in der Wildnis. Schattenhafte Gestalten prallten aufeinander und gingen mit krachenden Helmen und knarzenden Schulterpolstern zu Boden. Ray Arthur Larry-Pete taumelte über das Spielfeld, als hätte er einen Bauchschuß abbekommen, derart desorientiert, daß er nie ganz sicher war, wohin sein Team gerade wollte. Barmherzigerweise dämpfte die Witterung die gewaltige brausende Maschinerie des gegnerischen Sturms, und als zur letzten Pause gepfiffen wurde, hatte State nur einen weiteren Touchdown erzielt.
    Das vierte Viertel begann, und während sich die Tribünen leerten und sich selbst die fanatischsten Fans niedergeschlagen in ihre Parkas hüllten, humpelten die Caledonia-Spieler aufs Feld, die Köpfe gesenkt, das Kinn wild entschlossen gereckt. Sie spielten nicht mehr aus Stolz, nicht für die Nachwelt, den Teamgeist, ihre Alma mater oder um ihren Freundinnen zu imponieren – sie spielten nur noch aus einem einzigen Grund: um die Demütigung des 56:0 um jeden Preis zu verhindern. Und sie hielten stand: sie mißgönnten dem State-Team jeden Zoll Raumgewinn; Ray Arthur Larry-Pete erwachte sporadisch zum Leben, war dann sogar beinahe klar im Kopf und stürmte überwiegend in die richtige Richtung, Moss, DuBoy und McCornish rappelten sich in regelmäßigen Abständen vom Boden auf, und der Trainer brüllte von der Seitenlinie verworrene Anweisungen. Als die letzte Minute anbrach,

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