Flesh Gothic (German Edition)
Sockelbereich getäfelt. Oberhalb der Abschlussleiste bedeckte satter avocadogrüner Velours die Wände und schimmerte je nach Betrachtungswinkel in verschiedenen Tönen. Ein Flachrelief minutiös gearbeiteter Schildformen, die aussahen wie Schuppen, prägte den Velours. Drei riesige Sofas bildeten den Versammlungspunkt im Zentrum des Raums. Was die beeindruckende Stimmung für Nyvysk völlig ruinierte, war ein riesiger Flachbildfernseher, vor dem die anderen Mitglieder der Gruppe saßen und Kaffee und Limonade tranken.
Sie sahen sich das Food Network an.
»Nyvysk!«, rief Cathleen Godwin ihm zu und setzte sich auf. »Dein Bart ist länger!«
»Da hast du wohl recht, Cathleen. Schön, dich zu sehen.«
Cathleen präsentierte sich wie üblich in einem provokanten Outfit. Sie trug einen Stonewashed-Minirock kombiniert mit einem himbeerroten, eng anliegenden Rundhalsshirt. Von einem Fuß der langen, übereinandergeschlagenen Beine baumelte eine durchscheinende Sandale – leuchtend-rosa. Am anderen Ende der Couch lümmelte Adrianne Saundlund, die Teleästhesistin. Mit halb geschlossenen Lidern hatte sie sich dem Fernseher zugewandt. Wahrscheinlich auf Barbituraten, mutmaßte Nyvysk. Ihr zierlicher Körper wirkte in der kurzen Jeanslatzhose und dem weiten, grünen T-Shirt noch winziger, als er es ohnehin schon war. Abgekapselt von der Welt, zumindest von dieser ... Nyvysk kannte ihre Geschichte aus verschiedenen Quellen. »Hallo, Adrianne.«
Sie bemerkte ihn nicht einmal, bis seine Stimme sie dazu brachte, den Blick zu heben. »Oh, hallo. Tut mir leid – ich bin nur gerade ein wenig neben der Spur, echt müde.«
»Tja, vielleicht rüttelt dieser kleine Auftrag uns alle etwas wach.«
»Könnte ich gebrauchen.«
Willis erhob sich von der anderen Couch. »Sie ist völlig ins Food Network vertieft, was von Vorteil sein könnte, weil wir jemanden brauchen werden, der kocht.«
» Ich kann jedenfalls nicht kochen«, versicherte Cathleen.
Adrianne lachte verhalten. »Ich auch nicht, aber die Küche und die Vorratskammer hier sind unglaublich.«
Willis kam herüber und schüttelte Nyvysk die Hand. Nyvysk wusste, dass Willis keine richtigen Freunde hatte – er mied die Nähe anderer Menschen, so gut er konnte –, aber er wirkte nun weniger ermattet als bei ihrer kurzen Unterhaltung vorhin im Foyer. Vermutlich freute er sich darüber, ein vertrautes Gesicht zu sehen. »Die Geschichte kommt einem vor wie ein aus dem Zylinder gezaubertes Kaninchen, was?«
»Ich denke, da steckt mehr als nur ein Kaninchen drin«, meinte Nyvysk, den nicht überraschte, dass der Mann Handschuhe trug. Taktionisten taten das mit fortschreitendem Alter häufig, weil sie die »Strömungen« von Gegenständen und Menschen dann noch deutlicher wahrnahmen.
»Klar, könnte sich als Monster erweisen.« Willis lachte. »Aber um ehrlich zu sein, ich brauche das Geld so dringend, dass ich das Risiko eingehe.«
Mack meldete sich zu Wort. »Wirklich? Ich habe gehört, Sie wären ein erfolgreicher Arzt.«
In seinen Worten schwang eine gewisse Schärfe mit, eine unterschwellige Abfälligkeit.
»Ich bin kein Arzt mehr«, gab Willis grinsend zurück.
»Und Nyvysk ist kein Priester mehr und Adrianne ist keine Partymaus mehr«, fügte Cathleen lachend hinzu. »Und ich? Mal sehen, ich ... bin keine 20 mehr.«
»Sieht so aus, als wären alle hier mal etwas gewesen, das sie nicht mehr sind.«
»Ich würde es eher als Weiterentwicklung bezeichnen«, warf Nyvysk ein. »Es geht nicht darum, was wir nicht mehr sind. Viel wichtiger ist, was wir geworden sind.«
»Danke, Aristoteles«, sagte Adrianne sarkastisch.
Willis jedoch musterte Mack mittlerweile mit finstererem Blick. »Was ist mit Ihnen? Was sind Sie nicht mehr?«
»Ich bin, was ich schon immer war, Doktor Willis. Ein Sicherheitsexperte.«
Weitere unerklärliche verbale Spitzen. Ich muss herausfinden, warum die beiden Katz und Maus miteinander spielen , dachte Nyvysk. Für Klatsch hatte er sich nie interessiert, aber mentale Feindseligkeiten – vor allem bei Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten – konnten sich auf wissenschaftliche Sensoren auswirken, manchmal ziemlich drastisch. Warum können diese zwei Männer sich nicht leiden? , rätselte er.
»Hast du schon den Rest der Villa gesehen?«, erkundigte sich Cathleen.
»Nein, ich bin gerade erst eingetroffen.«
»Es gibt hier 13 Schlafzimmer«, verriet Willis.
»Mr. Hildreth mochte diese Zahl«, erklärte Mack. »Aber insgesamt gibt es
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