Flesh Gothic (German Edition)
irgendetwas brauchen ...« Er hielt sein Mobiltelefon hoch.
Nachdem Mack gegangen war, fühlte sich Nyvysk in der alleinigen Gegenwart von Adrianne irgendwie unwohl. Sie starrte zwar auf den Fernseher, allerdings fragte er sich unwillkürlich, wie viel sie von der Sendung wirklich mitbekam.
»Wann hast du das letzte Mal eine Astralwanderung gemacht, Adrianne?«
»Vor etwa einem Monat. War eine Army-Routinekontrolle in Fort Meade.«
»Du arbeitest immer noch für die Army?«
»So gut wie nie. Ich gelte als arbeitsunfähige Frührentnerin. Jetzt bekomme ich statt Befehlen jeden Monat einen Scheck.«
»Wie lief die Astralwanderung?«
»Ganz gut. Die wollten nur meine Reaktion auf Lonolox testen.«
Nyvysk war besorgt. Auf die eine oder andere Weise hatten sie alle einen Schaden. Aber Adrianne musste sich den schlimmsten Ängsten stellen, sollten in dieser Villa wirklich übernatürliche Dinge vor sich gehen.
»Du bist immer noch Christin, oder?«
»Ja«, bestätigte sie nur.
»Sei vorsichtig.«
»Bin ich.« Plötzlich schaute sie neugierig auf und schüttelte ihren Dämmerzustand ab. »Es kommt noch jemand, oder? Ein Schriftsteller aus der Gegend, stimmt’s?«
»Ich glaube ja«, sagte Nyvysk.
»Ich frag mich, wo er bleibt.«
Kapitel 5
I
Das Cover sprang ihn förmlich an: eine langbeinige, schlanke Brünette mit strahlend blauen Augen vor einem weißen Hintergrund. Sie präsentierte ein breites Lächeln und ein hautenges T-Shirt, das sich über stramme Brüste der Körbchengröße 75C spannte. Auf dem T-Shirt prangten eine Viagra-Pille und die Worte: STÄNDER GEFÄLLIG? Am oberen Rand der DVD-Hülle stand: T&T ENTERPRISES PRÄSENTIERT: GABRIELLE COX IN GABRIELLES GROSSER FICK. Das glänzende Zellophan schien Westmore einen Moment lang regelrecht zu hypnotisieren. Doch es lag nicht nur an der unübersehbaren Schönheit der Frau oder der unverhohlenen sexuellen Provokation. Es liegt daran, dass sie echt wirkt , dachte er. Das ist ein Mensch aus Fleisch und Blut auf dem Cover .
Ein toter Mensch.
Er erkannte das Gesicht der Frau auf Anhieb wieder. Es sah dem Foto aus der Polizeiakte, die Karen ihm gegeben hatte, und der deutlich weniger schmeichelhaften Aufnahme aus dem Leichenhaus unheimlich ähnlich. Ihr richtiger Name lautete nicht Gabrielle Cox, sondern Jane Johnson. Sie war 1,67 Meter groß, 24 Jahre alt und wog 54 Kilo. Die Tochter einer soliden Mittelklassefamilie aus Green Bay, Wisconsin. Nach zwei Semestern brach sie das College ab, um dem steinigen Weg zum Ruhm in Hollywood zu folgen.
Ihr hübsches Gesicht und der umwerfende Körper wurden sofort von einer mittelmäßigen, in Redondo Beach ansässigen Pornoklitsche namens T&T Enterprises entdeckt und unter Vertrag genommen. Im Anschluss daran ließ sie sich für 4500 Dollar Brustimplantate einsetzen, entwickelte eine Kokainabhängigkeit, hatte drei Abtreibungen, beteiligte sich an sexuellen Handlungen mit über 500 Männern und 100 Frauen und spielte in exakt 106 Hardcore-Pornos mit, bis ihre Karriere vor drei Wochen in der Villa eines Exzentrikers auf der anderen Seite des Landes ein abruptes Ende nahm.
Und jetzt ist das hier das Einzige, was noch von Gabrielle Cox alias Jane Johnson aus Green Bay, Wisconsin, übrig ist, dachte Westmore, der den Blick immer noch nicht vom Coverfoto lösen konnte, in einem Anflug von Melancholie. Ein Stück Hochglanzpapier in einer Plastikhülle .
Ihre Leiche war am Morgen des 3. April, einem Samstag, mit abgetrennten Händen und Füßen in der Hildreth-Villa gefunden worden. Ihr Körper wies Spuren von intensivem Geschlechtsverkehr mit mehreren Partnern auf. Todesursache: »Trauma infolge eines 15 Zentimeter breiten Hiebs in den Unterleib«, teilte der Autopsiebericht nüchtern mit – eine Axt im Bauch. »Mit potenzieller perimortaler transvaginaler Eviszeration.«
Westmore schloss die Augen und holte tief Luft.
An dem düsteren Ort roch irgendetwas süßlich – vermutlich ein Raumspray. Westmore war erst einmal in diesem Sexshop gewesen, um ein Gag-Geschenk für die Junggesellenparty eines Freundes zu kaufen. Von Pornovideos verstand er ungefähr so viel wie von euklidischer Geometrie. Irgendwo hatte er einmal gelesen, dass die Branche mittlerweile Jahresumsätze in Höhe von mehreren Milliarden Dollar erzielte. Nun fand er sich hier vor mehreren Regalmetern mit Videos und DVDs wieder, allesamt indiziert oder zumindest mit strengstem Jugendverbot. Das ist eine eigene Welt. Eine Unterwelt, dachte
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