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Flesh Gothic (German Edition)

Flesh Gothic (German Edition)

Titel: Flesh Gothic (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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aneinanderzureihen, ohne in Ruhe darüber nachzudenken. Verhalte dich wie ein Journalist. Trage so viele Fakten wie möglich zusammen, um dann belastbare Schlussfolgerungen zu ziehen . So viel stand fest: Handfeste Fakten gab es derzeit noch nicht viele.
    Er stöberte weiter herum und öffnete eine Kommode, in der er mehrere Stapel mit insgesamt vielleicht hundert DVDs entdeckte. Er sah sie sich näher an. Anstelle der erwarteten Pornocover waren die Rohlinge von Hand mit Datumsangaben aus dem vergangenen Jahr beschriftet. Zuerst überraschte ihn, dass die Polizei weder die DVDs noch die Pistole im Schreibtisch, das Geld oder weitere persönliche Gegenstände wie den Kalender konfisziert hatte, doch dann erinnerte er sich an das Gespräch mit Vivica. Sie hatte eine Menge Geld bezahlt, um den Bericht über Hildreths Tod zu manipulieren. Wahrscheinlich waren noch höhere Summen geflossen, um zu vermeiden, dass Beamte die Villa durchsuchten.
    Westmore graute vor der Aufgabe, die ihn erwartete: Ich werde mich hinsetzen und mir all diese DVDs ansehen oder sie zumindest stichprobenartig untersuchen . Es spielte keine Rolle, wie attraktiv die Frauen waren. Bei Pornos ging es im Wesentlichen immer um das Gleiche. Mann, ich kann’s kaum erwarten ... Als er die Stapel vorsichtig aus dem Schrank herauszog, fiel ihm prompt einer herunter. »Verdammte Fresse, was bin ich für ein Trottel!«, brüllte er frustriert. Die Discs lagen wie ein Kartenspiel auf dem Boden aufgefächert. Als er in die Knie ging, um sie aufzuheben, stach ihm eine davon ins Auge.
    Anders als die anderen war sie nicht mit einem Datum, sondern mit der Aufschrift HALLOWEEN-PARTY versehen.
    Das dürfte eine BESONDERS interessante Scheibe sein ...
    Er machte sich eine Gedankennotiz, diese DVD später als Erste anzusehen. Bevor er sich wieder aufrichtete, fiel ihm noch etwas anderes auf.
    Vier Vertiefungen im Teppich unmittelbar neben der Kommode. Länge und Breite sowie Abstände schienen exakt dem Möbelstück zu entsprechen. Bei näherem Nachdenken gab es keinen Zweifel: Jemand hat diese Kommode erst vor Kurzem verschoben.
    Als Westmore versuchte, das massive Teil selbst zu bewegen, wurde ihm klar, warum er Schriftsteller und nicht Handwerker geworden war: Körperlich hatte er nicht besonders viel zu bieten. Das lange Haar hing ihm lästig ins Gesicht, während er sich mit aller Macht gegen die Seitenwand stemmte. Dabei dachte er: Gottverdammt! Dieses Mistding wiegt mehr als ein verfluchtes Klavier! Aber obwohl er mächtig ins Schwitzen geriet und sich am nächsten Tag garantiert mit einem kräftigen Muskelkater herumquälen würde, gelang es ihm schließlich, die Kommode auf ihren ursprünglichen Platz zu rücken. Und er machte eine Entdeckung ...
    Allmählich beginnt die Geschichte interessant zu werden.
    Die Kommode hatte ein Ölgemälde verdeckt, das eine brünette junge Frau mit strahlenden Augen zeigte. Dieselbe Frau wie auf dem gerahmten Foto in der Schreibtischschublade. »Alles klar, Hildreth. Jetzt hast du mich neugierig gemacht«, murmelte Westmore. Eingehend betrachtete er das Gemälde, das offensichtlich neueren Datums war und trotzdem durch seine dunklen Wirbel und Pinselstriche den Stil der Hochrenaissance originalgetreu nachahmte. Es handelte sich um eine idyllische Nachtszene mit Bäumen, die einen Friedhof einrahmten. Davor stand das Mädchen in einem weiten, gerüschten blauen Kleid mit weißen Spitzen an den Bündchen und am Kragen. Sie wirkte in Gedanken versunken.
    Ihre Hand deutete aus dem Bild heraus, wodurch es für Westmore so wirkte, als zeigte sie direkt auf ihn.
    Interessant, dachte er . Und merkwürdig wie so vieles in diesem Haus ...
    Dann kam ihm ein anderer Gedanke: Hatte der Künstler das Bild bewusst so gemalt, dass es aussah, als würde sie auf jeden deuten, der es anschaute, oder ...
    Westmore drehte sich um. Da sich niemand im Raum aufhielt, zeigte das Mädchen auf die gegenüberliegende Wand, an der genau in einer Linie mit dem Gemälde ein weiteres Kunstwerk in einem identischen Rahmen hing.
    Er ging hinüber und erkannte, dass es sich um einen antiken Kupferstich handelte, dessen Protagonist ihn eher an Michelangelo als an Raphael erinnerte. Ein alter Mann mit wallendem langem Haar und Bart beugte sich über einen Tisch und notierte mit einem Federkiel etwas auf einer Schriftrolle. Dem Künstler war es hervorragend gelungen, den Widerspruch in den Gesichtszügen und Augen des Mannes festzuhalten: Unverhohlene Furcht

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