Flesh Gothic (German Edition)
Hildreth kinderlos geblieben waren.
Wer ist es dann?
Wie es schien, würde er alle Hände voll zu tun bekommen. Er ließ das Bild in der Schublade, begab sich zur gegenüberliegenden Seite des Raums und durchsuchte gerade einen Rollcontainer, als sich die Tür öffnete.
»Alles in Ordnung da drin?« Mack steckte den Kopf herein.
»Ja, ich ...«
»Nyvysk meinte, Sie sind auf der Suche nach einem Platz zum Schreiben. Wie es aussieht, haben Sie einen Treffer gelandet. Das war Hildreths Büro.«
»Ja, das dachte ich mir schon. Was dagegen, wenn ich es benutze?«
»Überhaupt nicht. Verwenden Sie ruhig die Computer oder was immer Sie brauchen und geben Sie mir Bescheid, falls irgendetwas fehlt.«
»Danke ...« Dann fiel Westmore etwas ein. »Ach ja, warten Sie. Das hier habe ich gefunden. Ich denke, Sie sollten es in Verwahrung nehmen oder Vivica übergeben.« Er reichte Mack das Bündel mit den Geldscheinen.
Mack lachte. »Das überrascht mich nicht. Für Hildreth war das bestenfalls eine Portokasse.«
Die Äußerung machte Westmore neugierig. »Wie ist er so erfolgreich geworden?«
»Hauptsächlich durch den Handel mit internationalen Anleihen, weltweite Kommunalschuldverschreibungen und solches Zeug.«
»Ein Wall-Street-Guru?«
»Entweder das, oder er hat eine Menge Leute über den Tisch gezogen. Geredet hat er nie viel darüber. Mit 50 hatte er seine erste Milliarde zusammen.«
»Wer hat seine persönlichen Konten verwaltet? Karen?«
Mack lachte noch ausgelassener. »Nein, nein, sie hat nur die Bücher für T&T geführt, nichts Aufregendes. T&T war für ihn kein Geschäft, sondern ein Hobby. Wenn Sie mich fragen, war Hildreth völlig pervers.«
»Der sprichwörtliche geile alte Bock?«
»Der sprichwörtliche reiche geile alte Bock, das kann man so unterschreiben. Aber er war auch ein sehr, sehr intelligenter Mensch. Es ist schwer, ihm mit wenigen Worten gerecht zu werden. Jemand könnte ein Buch über ihn schreiben und es würde trotzdem unmöglich die ganze Geschichte erzählen.« Der Sicherheitsbeauftragte verstummte kurz. »Soweit ich weiß, sollen Sie ja genau das tun.«
Westmore schüttelte den Kopf. »Ich schreibe nur einen chronologischen Bericht darüber, was hier abläuft mit all diesen ...«
»Übersinnlichen Spinnern?«
»Das haben Sie schön auf den Punkt gebracht.«
Mack lehnte sich an den Türrahmen. »Glauben Sie den Kram?«
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Westmore.
»Ich auch nicht. Ich schätze, wir warten einfach ab, was dabei rauskommt. Tja, ich muss los. Bis später.«
»Sicher … ach, Mack? Eine Frage noch.«
»Ja?«
»Hatte Hildreth Kinder? Mit Vivica oder sonst jemandem?«
»Ausgeschlossen. Er konnte Kinder nicht ausstehen. Wenn es um Kinder ging, war er ein echt komischer Kauz.«
»Hatte er vielleicht Verwandte mit Kindern?«
»Nein. Hildreth war ein Einzelkind.«
Danach verschwand Mack, der es offensichtlich eilig hatte, aber Westmore war mit seinen Antworten zufrieden und empfand seine gute Laune als ansteckend. Ach, Scheiße, ich hätte ihm auch die Pistole in die Hand drücken sollen , fiel ihm ein bisschen zu spät ein. Wenn diese »übernatürlich Begabten« Spinner waren, mochte eine herumliegende Schusswaffe keine gute Idee sein. Andererseits schien ihm das selbst übervorsichtig. Am besten ließ er sie einfach hier. Und er sollte auf vorschnelle Urteile verzichten, bevor er die anderen nicht näher kennengelernt hatte.
Westmore setzte die Untersuchung des Raums fort. Er fühlte sich unweigerlich an Edgar Allan Poes Kurzgeschichte ›Der entwendete Brief‹ erinnert, als er die dicke Lederkladde auf Hildreths Schreibtisch liegen sah. Es handelte sich um einen Monatsplaner, in den man Notizen kritzeln oder Termine eintragen konnte. Die Seite für den April war aufgeschlagen, schien jedoch leer zu sein ...
»Moment mal«, murmelte er und kniff die Augen zusammen.
... abgesehen von einer mit Filzstift angefertigten Markierung.
Ein rotes X im Feld für den 3. April.
Ein Schauder lief ihm über den Rücken. Das Morddatum ...
Das mochte nichts zu bedeuten haben, dennoch kam es ihm ausgesprochen makaber vor. Es war eindeutig keine spontane Tat , wurde Westmore plötzlich klar. Hildreth wusste ganz genau, dass er diese Leute am 3. April töten würde, und wollte sich auf diese Weise daran erinnern .
Noch mehr ungeklärte Rätsel. Ich bin gerade erst eingetroffen , bremste Westmore sich selbst. Er neigte dazu, Fragen und Theorien im Schnellfeuertempo
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