Flesh Gothic (German Edition)
Über ein zentrales Pult konnte man mehrere Überwachungskameras gleichzeitig beobachten und die Tonübertragungen der Kommunikationsanlage steuern. Die Stapel von Umzugskartons in ihrem Rücken ließen ein Gefühl der Beklemmung entstehen. »Was ist das alles?«, erkundigte sich Westmore.
»Das ist meine Ausrüstung«, erklärte Nyvysk. »Aus technischer Sicht ist diese Villa ein Traum. Jede Kamera ist für Bild- und Tonübertragungen ausgelegt. Ich kann meine Erfassungsgeräte in jedem beliebigen Zimmer aufstellen und die bereits vorhandene Verkabelung dafür benutzen. Und das digitale Kamerasystem ist ideal – es ist möglich, von dieser Zentrale aus einen Großteil meiner Sensoren anzusprechen und die Messwerte auszulesen.«
Westmore war bereits jetzt verwirrt. »Sensoren? Erfassungsgeräte? Was wollen Sie denn erfassen? Wollen Sie versuchen, Fotos von Geistern zu schießen?«
»Ich will versuchen, fotografische und akustische Ablesungen verschiedener atmosphärischer Signaturen von Präsenzen anzufertigen, die man salopp gesagt tatsächlich als Geister bezeichnen könnte.«
Westmore runzelte die Stirn. »Was zum Beispiel? Die Temperatur?«
»Drastische Temperaturschwankungen, ja. Ebenso barometrische Diskrepanzen, gaußsche Messungen von Abweichungen des Reststrahlungspegels und von elektromagnetischen Feldkonfigurationen, Ionenfeldkonversität. Eine der einfachsten Erfassungsmessungen ist zugleich eine der nützlichsten: Stimmphänomene. Den Großteil dieser Aspekte kann ich von diesem Raum aus überwachen. Ich kann genau feststellen, wann und wo erhöhte Aktivitäten auftreten, selbst wenn ich mich gerade nicht hier aufhalte.« Er zeigte auf eine Reihe von digitalen Aufzeichnungsgeräten.
»Oh«, sagte Westmore nur. Diese Informationen überstiegen sein Verständnis als ausgebildeter Journalist und Schriftsteller bei Weitem. »Wann werden Sie mit den Ablesungen beginnen?«
»Das habe ich bereits.«
Ich kann’s kaum erwarten zu sehen, was sich hier tut, dachte Westmore. »Dann tun Sie, was Sie nicht lassen können. Ich suche mir einen Platz, an dem ich in Ruhe schreiben kann.«
»Wir sehen uns beim Abendessen«, erwiderte Nyvysk, ehe er sich mit einem Schraubenzieher an einem Zugangsdeckel der Konsole zu schaffen machte.
Noch verwirrter als vorher zog Westmore davon. Allmählich gewöhnte er sich an diesen Zustand. Draußen im düsteren Korridor überprüfte er weitere Ziertüren und stellte fest, dass die meisten nicht in Schlafzimmer führten, sondern in Büros sowie Vorrats- und Mehrzweckräume. Westmore vermutete, dass in diesem Bereich die Verwaltung von T&T untergebracht gewesen war. Eine größere Tür ließ dank der Beschriftung keine Fragen offen: STUDIO. Von dieser Stelle an mussten die Wände der restlichen Räume der Etage entfernt worden sein.
Mehrere Kulissen mit verschiedenen falschen Hintergründen waren zu sehen: ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, alle mit einer Batterie von Scheinwerfern ausgestattet. Du lieber Himmel , ging ihm durch den Kopf, als er einen gepolsterten Untersuchungsstuhl wie in einer Frauenarztpraxis entdeckte. Darauf lag eine Szenenklappe, auf der stand: GABRIELLES WILDER RUDELFICK (SZENE IV, TAG ZWEI). Ich schätze mal, aus dem Film ist nichts mehr geworden, folgerte Westmore. Sie wurde abgeschlachtet, bevor sie den dritten Drehtag erlebt hat . Regale beherbergten Dutzende verschiedener Arten von Vibratoren und sonstigen Sexspielzeugen, Gummidildos, die erschreckend echt aussahen, und riesige Flaschen mit Gleitgel.
Westmore rümpfte die Nase: »Ich glaube kaum, dass ich mich inmitten von so viel Schweinkram auf meine Arbeit konzentrieren kann«, murmelte er und verließ den Raum. Allein durch seine Anwesenheit und das Wissen um den ursprünglichen Verwendungszweck fühlte er sich besudelt und schmutzig. Vielleicht würde er unten in der großen Bibliothek einziehen. Allerdings missfiel ihm die Vorstellung, sich in unmittelbarer Nähe der anderen häuslich einzurichten – er wollte nicht, dass sie in seinen Sachen herumschnüffelten. Erleichtert seufzte Westmore, als er die letzte Tür des Flügels öffnete und dahinter ein üppig eingerichtetes Büro mit einem großen Teakholzschreibtisch, hochwertigem Ledersessel sowie Glastüren, die auf eine sonnige Veranda hinausführten, entdeckte. Das wird gehen ...
Er legte seine Laptoptasche auf dem Tisch ab, rückte die Lampe zurecht, ließ die kreative Atmosphäre auf sich wirken und empfand sie als annehmbar.
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