Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
Vom Netzwerk:
Sinner.
    »Was?«
    »Los Angeles für dreißig Dollar? Hollywood?«
    »Klar.«
    »Kann ich hier irgendwo eine Uhr versetzen?«
    »Klar.«
    »Jetzt?«
    »Klar.«
    Sinner überlegte einen Augenblick.
    »Was ist los?«, sagte der Taxifahrer schließlich. »Wollen Sie immer noch nach Uptown oder was?«
    »Ja. Uptown.« Er konnte morgen nach Los Angeles fahren.
    Sie quetschten sich zwischen den Straßenbahnen am Columbus Circle hindurch, und nach zehn Minuten bezahlte Sinner den Fahrer an der West 70th Street. Er rauchte eine Zigarette, trank noch etwas Bourbon und klopfte dann an Balfour Pearls Tür.
    Pearl öffnete in Hemdsärmeln, die er bis zum Ellenbogen aufgerollt hatte. Er roch nach Schweiß, denn er gehörte zu dem seltenen Typ Mann, der sich auch allein an einem Schreibtisch wirklich anstrengen konnte.
    »Sie haben Ihre Uhr vergessen«, sagte Sinner.
    »Sie haben sie gestohlen.«
    Sinner zuckte mit den Schultern.
    »Ich bin in Manhattan aufgewachsen«, sagte Pearl. »Glauben Sie etwa, ich merke nicht, wenn mir ein Junge die Uhr abnimmt, während er mir die Hand schüttelt? Glauben Sie etwa, ich habe keine Freunde, die Ihnen die Unterhose stehlen können, während sie Ihnen von der anderen Straßenseite aus zuwinken?«
    »Wollen Sie sie zurück?«
    »Ja, ich will sie zurück. Erwarten Sie eine Belohnung?«
    »Ich möchte gern etwas Eis für meinen Drink.«
    »Ich teile dieses Haus mit meiner Frau und meiner Tochter.«
    »Die sind auf der langen Insel«, sagte Sinner. Pearl ließ zu, dass er sich an ihm vorbeischob.
    Der größte Teil des Hauses war dunkel, aber oben an der Treppe gab es etwas Licht, sodass Sinner den Weg ins Arbeitszimmer fand, wo auf dem Schreibtisch getippte Blätter unter einer Tischleuchte mit grünem Schirm verstreut lagen, als seien sie vom Kampf mit dem Stadtplaner erschöpft.
    »Hier werden Sie kein Eis finden«, sagte Pearl, der ihm gefolgt war.
    »Dann holen Sie mir welches.«
    »Vielleicht rufe ich auch den Rabbi an und lasse ihn wissen, dass Sie hier sind. Bestimmt macht er sich Sorgen. Möchten Sie, dass ich das tue?«
    »Sie können tun, was immer Sie wollen, wenn Sie mir Eis gebracht haben.«
    »Einmal mehr scheinen Sie zu glauben, dass Ihre Unverschämtheit mich beeindrucken kann, und einmal mehr muss ich Sie daran erinnern, dass ich in Manhattan aufgewachsen bin. Wobei mir einfällt: Ihr Trainer sagte doch, dass Sie unbedingt den Times Square sehen wollten – haben Sie die Gelegenheit auf dem Weg hierher ergriffen?«
    »Der war nicht schlecht«, gab Sinner zu.
    »Besser als der Piccadilly Circus?«
    »Ja, kann sein.«
    »Am besten betrachtet man ihn mit einem Stadtplan in der Hand – dann kann man sehen, wie er das Netz der Straßen durchschneidet. Haben Sie von Oscar Gude gehört?«
    »Ist das der Typ, der Ihre Unterhosen geklaut hat?«
    »Oscar Gude ist der Times Square. 1879 kam Thomas Edison die Idee für die elektrische Glühbirne, und 1892 hatte Oscar Gude die Idee, mit ihrer Hilfe Dinge zu verkaufen: zuerst Grundstücke auf Long Island – Entschuldigung, auf der ›langen Insel‹ – und dann die Pickles der Firma Heinz. Bis zum Ende des Krieges muss es in Amerika zehn- oder zwanzigtausend Reklameflächen mit seinem Namen gegeben haben, darunter eine riesige Menge am Times Square. Man nannte ihn den ›Botticelli vom Broadway‹. Ich habe ihn einmal getroffen. Er hielt sein Werk für schön. Fanden Sie es schön?«
    Sinner zuckte mit den Schultern und setzte sich auf den Schreibtisch; seine Füße baumelten in der Luft.
    »Übrigens bin ich sicher, dass Sie diesen Whiskey mindestens so sehr genießen wie jeder dahergelaufene Landstreicher aus den Appalachen, aber falls Sie einmal etwas Raffinierteres probieren möchten, finden Sie in der untersten Schublade eine Flasche. Ja, links. Und Gläser stehen im Regal. Nun, was Gude betrifft, so waren Kunst und Reklame für ihn ein und dasselbe, müssen Sie wissen. Mit Sicherheit wird er nicht der Letzte sein, der mit dieser primitiven Vorstellung in New York reich wird. Und er wird auch nicht der Letzte sein, der denkt, er sei der Erste gewesen. Aber er hat natürlich verstanden, dass man die Leute nicht dazu zwingen kann, Kunst zu betrachten, wohl aber dazu, Reklame anzusehen, wenn man einhunderttausend Glühbirnen direkt auf der Straße einschaltet. Das gefiel ihm. Es gefiel ihm, sein Stück von der Stadt zu beanspruchen. Es war wie eine Art Eroberung. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als er die Reklame für Wrigley’s

Weitere Kostenlose Bücher