Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
Vom Netzwerk:
diesen albernen christlichen Spruch: ›Liebe den Sünder, hasse die Sünde!‹ Aber Juden wissen, dass man eine Sünde nicht aus einem Mann herausschneiden kann wie eine Wucherung. Und auch nicht die Erinnerung an sein Zuhause, so verdreckt es auch sein mag.« Berg hielt kurz inne. »Sie hassen Seth nicht, aber Sie wünschten, er wäre nicht in einem Slum aufgewachsen. Und es gibt andere Reformer wie Sie, die Seth nicht hassen, aber wünschten, er wäre größer und hätte alle zehn Zehen. Und es gibt wieder andere, die Seth nicht hassen, aber wünschten, er wäre kein Jude.«
    »Ich verstehe nicht ganz, was Sie damit andeuten wollen, Rabbi«, sagte Pearl. »Ich wünsche lediglich das Beste für den Jungen und für alle Jungen wie ihn.«
    »In der Welt, die Sie anstreben, würde es keine Jungen wie ihn geben.« Berg hielt die Hand in die Höhe, um Pearl davon abzuhalten, ihn zu unterbrechen. »Ich will zu Darwin zurückkehren. Wie ich das verstehe, könnte es ohne Mutationen keine Evolution geben. Wir wären alle immer noch Bakterien in der Suppe. In unseren Zellen gibt es Sachbearbeiter, deren Aufgabe es ist, im Papierkram Fehler zu verhindern. Aber es ist ein Glück, dass diese Bürokraten ihre Arbeit nie besonders sorgfältig gemacht haben. Wenn sie uns nicht für eine Art der Sünde empfänglich gemacht hätten …«
    »Dann sollen wir also jubeln, wenn ein Kind ohne Augen geboren wird, denn es könnte ja einen gesegneten neuen Stamm der Blinden begründen?«
    »Nein. Ich denke, für die Menschen ist HaSchems Werk vollendet. Aber Ihre uniformen Türme, die einer nach dem anderen tadellos reproduziert werden, bis sie die Erde und den Grund des Meeres bedecken, sodass überhaupt nichts mehr ungeplant ist – wie kann da irgendetwas besser werden?«
    »Das ist bereits eine Verbesserung.«
    »Aber ich frage mich, ob sie nicht kurzsichtig ist. Die Slums sind nicht wie ein blindes Kind. Aber sie sind auch nicht wie ein gesundes Kind, das gebe ich zu. Sie sind wie ein Kind mit einem krummen Rücken, einer Hasenscharte und den Flügeln eines Engels.«
    »Ja, von hier oben in Ihrem Sandsteinhaus aus betrachtet sehen die Slums ganz bestimmt sehr romantisch aus.«
    »Ich bin ein paar Straßen von hier entfernt in einem Mietshaus aufgewachsen, Balfour, wie Sie sehr gut wissen. Dort hätten wir den jungen Seth nie vorhersehen können. Und die Leute sind glücklicher, wenn sie an Orten leben, wo nicht alles vorhergesehen werden kann. Dinge entstehen, schöne Dinge, Dinge, die in Ihrem makellosen Paradies nicht zu verstehen und deshalb verboten wären, denn dort fürchtet man die Engelsflügel noch mehr als den krummen Rücken und die Hasenscharte. Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass ein Mensch Licht genauso braucht wie Brot, aber ein Mensch braucht auch ein wenig Dunkelheit, und sei es nur, um zu schlafen und zu träumen.«
    »Wenn Sie sich selbst hören könnten, Rabbi«, sagte Pearl.
    »Ja, ja, ich weiß, ich bin nicht so ganz auf der Höhe der Zeit«, erwiderte Berg. Obwohl die Ironie seiner Worte offensichtlich war, führte das zum Ende der Diskussion. Niemand wollte einen offenen Streit. Aber während das Abendessen weiterging, warfen sich Sinner und Pearl immer noch von Zeit zu Zeit verdrossene Blicke zu.
    Das Essen endete mit süßem Gebäck, das Berg in der benachbarten Bäckerei gekauft hatte, weil ein solches Dessert seine Köchin überfordert hätte, und dann wurden Zigarren geraucht. Ohne an Sinner zu denken, der von seinem Sessel aus gewaltige Rauchkringel in den Raum pustete, stand der Rabbi auf, um eine Flasche Cognac zu holen, und Frink musste ihn unter einem Vorwand an den Tisch zurückrufen. Einladungen zum Abendessen in der Cherry Street dauerten für gewöhnlich bis spät in die Nacht, aber um halb elf entschuldigte sich Pearl und sagte, auf seinem Schreibtisch läge ein Haufen Gesetzesvorlagen des Staates New York. Als er ging, schüttelte er allen fünf Männern die Hand. Sinners Handschlag war besonders kräftig.
    »Also gut, erzählen Sie mir etwas über diesen Clown, gegen den Sinner nächste Woche kämpft«, sagte Berg, als das Dienstmädchen den Tisch zum zweiten Mal abräumte. »Aloysius Irgendwas.«
    »Aloysius Fielding«, ergänzte Kölmel. »Wird kein Problem sein. Solange unser Junge ein bisschen Disziplin zeigt. Stimmt’s, Seth?«
    »Du wirst dir einen Namen machen, Sinner«, sagte Frink. »Kommst direkt an die Spitze.«
    »Was kosten die Eintrittskarten?«, erkundigte sich Berg.
    »Zwei

Weitere Kostenlose Bücher