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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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geirrt habe. Aber als Strafe für den Mord an dem Abt versagte Gott ihm seine Freiheit. Eine bemerkenswerte Geschichte, nicht wahr? Jetzt wirft offenbar jeder, der vorbeikommt, einen Holzscheit oder einen Stock auf den Haufen, und immer mal wieder zündet jemand ihn an. Das Feuer beschwört Jakub und bittet ihn, den Bewohnern seines Dorfes zu helfen, in unruhigen Zeiten richtig zu handeln.«
    Gerade als Gittins geendet hatte, wurde Erskine fast vom Wagen geworfen, denn eines der Vorderräder blieb in einem Loch in der Straße stecken. Sie stiegen beide ab, um dem Kutscher zu helfen, und mussten feststellen, dass sie bis zu den Knöcheln im Matsch standen. Wegen der Kälte war alles beschwerlicher, als es hätte sein sollen. Der Geruch der Pferde erinnerte Erskine an die katastrophalen Versuche seines Onkels, ihn das Reiten zu lehren, damals in Claramore, als er zwölf Jahre alt gewesen war. Schon wünschte er, er hätte diese Reise nie unternommen.
    In Wirklichkeit war ihm schleierhaft, warum er eigentlich jemals geglaubt hatte, es könnte sich lohnen, zwei Wochen auf diese Weise zu verbringen. Im November hatte Benjamin Percy, gerade aus der Ukraine zurückgekehrt, eine mitreißende Rede vor der Royal Entomological Society gehalten, in der er argumentierte, dass die Insektenkundler nur allzu gerne den weiten Weg nach Afrika oder Asien zurücklegten, bedauerlicherweise jedoch das wenig exotische alte Osteuropa links liegen ließen, wo »jedes Mal, wenn man seinen Stiefel am Morgen ausschüttelt, eine unbekannte Untergattung auf den Boden fällt«. Percy selbst war mit einigen faszinierenden neuen Larven zurückgekehrt. Daher waren mehrere Expeditionen organisiert worden, inklusive dieser, die in ein Gebiet südlich von Białystok führte und teilweise von Erskines Vater finanziert worden war. Ursprünglich sollten fünf Männer daran teilnehmen, aber drei waren aus dem einen oder anderen Grund abgesprungen, sodass nur Erskine und John Gittins übrig geblieben waren.
    Gittins war ein fetter, ottergesichtiger Bürokrat in den Fünfzigern. Fast zwanzig Jahre lang hatte er eine Phiole mit sich herumgetragen. Sie enthielt eine kleine Kolonie von Cimiciden – Bettwanzen –, die er jeden Abend auf seinem haarigen Oberschenkel auskippte, sodass die Tiere sich von seinem Blut ernähren konnten. Das Ritual war Teil einer obskuren Langzeituntersuchung der Relation von Mandibelngröße und Ernährungsvorlieben. Berichten zufolge vergaß er häufig beim Verlassen des Hotels die Phiole, und dann stürzte er, den Tränen nah, in sein Zimmer zurück, weil er befürchtete, dass ein Zimmermädchen sie zertreten habe. Wenn er nicht von seiner Cimiciden-Kolonie erzählte, sprach Gittins nahezu unweigerlich von seiner Fehde mit dem mächtigen Sekretär für Lepidopterologie der Internationalen Kommission für Zoologische Nomenklatur, Francis Hemming CMG CBE (Companion of the Order of St Michael and St George, Commander of the British Empire). Die zahlreichen Aspekte des Disputs waren viel zu komplex, als dass irgendjemand außer Gittins sie im Detail verstanden hätte, aber Erskine wusste, dass Gittins die Absicht gehabt hatte, am letzten Tag einer Reihe von Beratungen in Lissabon einen revolutionären Antrag über Abstimmungen per Post vorzulegen, der Hemmings Tyrannei ins Wanken gebracht hätte. Weil er das vorausgesehen hatte, war Hemming zuerst aufgestanden und hatte fast fünf Stunden lang ununterbrochen über die Klassifikation von Malariaparasiten gesprochen, sodass die Sitzung wegen der müden alten Männer in der Kommission hatte vertagt werden müssen, bevor Gittins seine Revolte überhaupt beginnen konnte. Gittins war nun entschlossen, Hemming auf jede nur erdenkliche Weise zu zerstören; um zu verhindern, dass Hemming in den von ihm angestrebten Ritterstand erhoben wurde, wäre er, wie Erskine argwöhnte, bereit gewesen, nicht nur sein eigenes Leben zu opfern, sondern vermutlich auch das seiner Frau, seiner Tochter und sogar das seiner Cimiciden. Gittins’ einziges Hobby außerhalb der Entomologie waren Sprachen, von denen er fast ein Dutzend beherrschte, darunter auch Polnisch. Am Hals hatte er einen Leberfleck, aus dem sechs lange struppige Haare wuchsen; es sah aus, als habe sich in seinem Fleisch eine Spinne eingenistet.
    Während sie sich dem Dorf näherten, kamen sie an grauen Feldern mit Gerste und Roter Bete vorbei. Fluek selbst, das sie wegen der Vielfalt des Geländes in seiner Umgebung gewählt hatten, bestand

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