Flieg, Hitler, flieg!: Roman
lediglich aus ein paar Hütten, ein paar Scheunen, ein paar Ställen, einem Gasthof und einer Kirche, deren Dach Risse aufwies, seit die Bolschewiken 1920 durch das Dorf gekommen waren. Alle diese Gebäude schmiegten sich eng aneinander. Etliche der Holzbauten waren mit merkwürdig aussehenden Platten aus rostigem Wellblech geflickt worden – Beutestücke, die von einem nahen Schlachtfeld stammten. Der Ort hatte etwas Erschöpftes und schien sich in sein Schicksal ergeben zu haben wie ein dünner Bauer, der auf Gras herumkaut, weil seine tyrannischen fetten Rinder ihm wieder einmal sein warmes Abendessen abgejagt haben.
Sie stiegen vom Wagen, und nachdem der Kutscher die Pferde an einen Pfahl gebunden hatte, führte er die beiden Engländer zum Gasthof. Auf dem Weg dorthin bemerkte Erskine mehrere in Tücher gehüllte alte Frauen, die in Türen standen und sie böse anfunkelten.
»Sie scheinen nicht sehr erfreut zu sein, uns zu sehen«, sagte er leise zu Gittins. War dies der »böse Blick«, von dem er gelesen hatte?
»Nein, offensichtlich nicht«, gab Gittins zurück, und dann sagte er etwas zum Kutscher. Erskine zuckte zusammen – er hatte nicht beabsichtigt, dass Gittins, dieser Idiot, seine Bemerkung weitergeben und damit Unmut erregen würde. Aber der Kutscher antwortete in gelassenem Tonfall, und Gittins übersetzte: »Er sagt, wir hätten nicht heute ankommen sollen. Heute ist der Geburtstag des – hm, ich kenne das Wort nicht – des ›Engelskindes‹, denke ich. Die Großmütter glauben, dass es Unglück bringt, meint er. Er selbst glaubt nicht daran.«
»Wer oder was ist das ›Engelskind‹?« Der Ausdruck ließ ihn aus irgendeinem Grund schaudern.
»Er sagt, darüber sollen wir uns keine Gedanken machen.«
Das Gasthaus war nicht ganz so schlimm, wie Erskine befürchtet hatte. Eine schmuddelige Frau in einem roten Rock schenkte Tee aus einem Samowar aus, als sie eintraten. Zu ihren Füßen lag eine graue, einäugige Mischlingshündin, kratzte sich das Fell, das voller Flöhe war, und säugte einen Wurf winziger Welpen. Die Frau sprach ein paar aufrichtig klingende Worte zur Begrüßung, und der Kutscher half ihnen, ihr Gepäck nach oben zu tragen.
In ihrem Zimmer standen nur ein Doppelbett, ein Tisch und ein Stuhl. Sie packten nicht aus, weil sie ihre Sachen nirgends hinlegen konnten. An der Wand gegenüber dem Bett hing ein handgemaltes Plakat.
»Was ist das?«, fragte Erskine.
»Ich glaube, das soll eine Laus darstellen, und da steht: ›Die darfst du töten‹. Das andere Ding ist vermutlich ein Badezuber, und dort steht: ›Das darfst du sparen‹. Das Badewasser? Vielleicht habe ich es auch falsch verstanden.« Es war fast fünf Uhr. Gittins trat ans Fenster. »Fast schon dunkel. Hat keinen Sinn, heute noch rauszugehen.« Er entnahm seinem angeberischen Bücherranzen eine finnische Grammatik aus rotem Leder und setzte sich an den Tisch.
»Möchten Sie denn gar nicht den Rest des Dorfs sehen?«, fragte Erskine.
»Gibt nicht viel zu sehen.«
Erskine war entschlossen, Gittins Behauptung zu widerlegen, und machte sich zu einem Spaziergang auf. Von ein paar Hühnern abgesehen, fand er jedoch in der Tat nichts, das anzusehen sich lohnte. Die Menschen schienen alle in den Häusern zu sein. Und der Regen fiel stechend in seinen Nacken. Also ging er ins Zimmer zurück, setzte sich aufs Bett und las Sloans Kommentare zu Darwin. Um sieben Uhr kam die Gastwirtin nach oben und brachte ihnen zwei Schüsseln mit annehmbarem Eintopf. Um acht zog Gittins seine Hose aus und fütterte seine Cimiciden, wobei er leise und fröhlich vor sich hin summte. Selbst Erskine erkannte, dass das Ritual seltsam erotischer Natur war. Er war sich fast sicher, dass er an einem bestimmten Punkt hörte, wie Gittins leise etwas über Francis Hemming zu den Insekten sagte. Um neun Uhr gingen sie ins Bett, und Gittins blies die Kerze aus.
»Gute Nacht«, sagte er.
»Gute Nacht«, sagte Erskine. Gittins roch noch schlimmer als die Pferde, aber Erskine schlief trotzdem sofort ein.
Am nächsten Tag standen sie vor Morgengrauen auf und gingen zu einem Bach in der Nähe des Dorfs. Sie trugen Umhänge aus Öltuch. Erskine stieß in einer Biegung des Bachs ein paar Steine zur Seite, und Gittins hielt ein Stück weiter unten ein sehr dünnmaschiges Netz ins Wasser. Alle paar Stunden legten sie das Netz zum Trocknen auf einen Baumstumpf, und dann suchten sie den Inhalt nach Insekten ab. Immer wenn Gittins über Hemming zu
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