Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
Vom Netzwerk:
hübsche? Aber warum sollte er Unglück bringen?
    Sie waren eine Stunde auf dem Zimmer, als Erskine hoffte, ein nettes, nicht-Hemming-bezogenes Gespräch beginnen zu können, und den Fehler machte zu sagen: »Wussten Sie, dass Darwin 1831 beinahe als Naturforscher für die HMS Beagle abgelehnt wurde? Captain FitzRoy misstraute nämlich der Form seiner Nase.«
    »Wirklich?«
    »So steht es hier. Was für ein Wendepunkt in der Geschichte der Wissenschaft.«
    »Was lesen Sie da?«
    » The Candle Flame von Sansome.«
    »Worum geht es?«
    »Oh, um die Theorie und Praxis der Eugenik. Es ist hervorragend.«
    »Sie glauben doch nicht an diesen Dreck, oder?«
    Erskine war einen Augenblick sprachlos. »Ich beabsichtige, ›diesem Dreck‹ mein Leben zu widmen, wenn Sie es ganz genau wissen wollen.«
    »Der Verbesserung der angelsächsischen Rasse? Dem Triumph des Keimplasmas?«
    »Ja.«
    »Hören Sie, es gibt fünfundvierzig Millionen Menschen in Großbritannien, Erskine. Und Sie wollen auf Reinrassigkeit züchten. Wie soll das gehen?«
    »Es ist lediglich eine Frage der systematischen Förderung und Unterbindung.«
    »Und mit Unterbindung meinen Sie die Todeskammer?«
    Erskine hasste diesen Ausdruck. Er stand für alle irrationalen, weibischen Einwände, die der durchschnittliche Schwachkopf gegen das Projekt der Eugenik ins Feld führte und die es ihm ersparten, auch nur einen Augenblick über den Kern seines Vorurteils nachzudenken.
    »Die Todeskammer ist nur eine von tausend Methoden«, sagte Erskine. »Vielleicht besteht gar nicht die Notwendigkeit, sie je anzuwenden. Sie wissen ganz genau, dass es reine Sensationsheischerei ist, wenn das ganze Projekt mit einer extremen Maßnahme identifiziert wird. Stellen Sie sich vor, über die Entomologie wäre nichts anderes bekannt als Sie und Ihre Cimiciden.«
    »Hätte ich nach Ihren Plänen denn das Recht, mich fortzupflanzen?«
    Darüber hatte Erskine natürlich schon nachgedacht, über die Tatsache, dass Gittins schlecht roch, fett, kleinkariert und langweilig war – nicht gerade ein Übermensch. Aber vermutlich war er mit seiner Bemerkung über die Cimiciden bereits viel zu weit gegangen – es war schließlich erst ihr zweiter Tag –, also sagte er nur: »Ich bin sicher, dass Sie die entsprechenden Prüfungen bestehen würden.«
    »Oh, vielen Dank, Erskine, das ist sehr tröstlich.« Erskine hatte nicht gewusst, dass Gittins intellektuelle Fähigkeiten für Sarkasmus ausreichten. »Mich erschreckt der Gedanke, dass ich mich vielleicht eines Tages wirklich einer solchen Prüfung unterziehen muss und dass Sie es sein werden, der die Fragen stellt und die Antworten auswertet. Oder wenn nicht Sie, dann vielleicht Mr.   Hitler. Ich hoffe sehr, dass Sie mit zunehmendem Alter Ihre Einstellung noch ändern.«
    »Darf ich daraus schließen, dass Sie froh wären, wenn Ihre Tochter einen verkrüppelten, negroiden Rückfalltäter heiraten würde?«
    »Nun, wenn sie sich liebten, wäre es nicht an mir …«, sagte Gittins, ohne allzu überzeugt zu klingen.
    »Ich schlage vor, dass Sie das überdenken«, gab Erskine zurück und hatte das Gefühl, gewonnen zu haben, wenn auch auf etwas grobschlächtige Weise.
    »Ich würde meiner Tochter ganz bestimmt nicht erlauben, einen Mann von Ihrer Sorte zu heiraten. Einen Kerl, für den die halbe Welt bereits tot ist, auch wenn sie scheinbar noch ganz zufrieden durchs Leben geht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das Leben auf irgendeine Weise genießen.«
    »Liebe und Glück sind Wörter, die leicht von der Zunge gehen, Gittins. Aber nicht jeder kann das Leichte tun. Einige von uns müssen das Schwere tun, wenn die Zivilisation überhaupt eine Zukunft haben soll.« Erskine, der tief in seinem Inneren wusste, dass er in seinem Leben nie etwas »Schweres« hatte tun müssen, bemühte sich sehr, diese Worte mit der gebotenen Ernsthaftigkeit auszusprechen, aber Gittins schnaubte, als sei ihm gerade derselbe Gedanke gekommen. Deshalb platzte es aus Erskine heraus: »Es sind Dummköpfe wie Sie, die alle anderen aufhalten.«
    Er hatte noch nie jemanden in Gittins’ Alter einen Dummkopf genannt und konnte ihm nicht in die Augen sehen, als er das Wort aussprach. Es wäre auch nicht passiert, hätte Gittins ihn nicht den ganzen Tag mit Hemming gequält. Gittins antwortete nicht, sondern nahm seine finnische Grammatik zur Hand, sodass auch Erskine zu seinem Buch griff. Eine Stunde später, als die Frau mit dem Eintopf nach oben kam, starrte er

Weitere Kostenlose Bücher