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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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der Unzucht hingab.)
    Sinner drang umstandslos in sie ein, und sie keuchte und biss ihn in die Lippe. Der Winkel war ungünstig, sodass er unbequem auf den Zehenspitzen stehen musste und das Gefühl hatte, eine spezielle Übung in Frinks Sporthalle zu absolvieren, während er gleichzeitig den violetten, monddurchflutetenNachthimmel vor den Fenstern des Salons und das kalte Rosenholz des Klaviers an seinen Unterarmen deutlich wahrnahm. »Du wirst doch nicht … Du darfst nicht … Noch nicht«, wisperte Evelyn unsicher, aber Sinner wusste, dass es keine Gefahr gab, also machte er weiter – er versuchte, sanft zu sein, dachte aber an seine Favoriten aus dem Caravan, um seine Erektion nicht einzubüßen –, bis Evelyn etwas hatte, das sie fälschlicherweise für einen Orgasmus hielt, und in seinen Armen erschlaffte. Sie zuckte noch einmal zusammen, als er sich zurückzog und ihn ein kleines Rinnsal aus Blut über ihren Schenkel verfolgte. Er half ihr hinunter auf den Teppich, wo sie keuchend auf der Seite lag; er setzte sich neben sie. Das Ganze hatte nur drei oder vier Minuten gedauert.
    »Hast du es schon mal mit einer Frau getan?«, fragte sie nach langer Zeit.
    »Ja.«
    »Wie oft?«
    »Ein paarmal.«
    »Findest du es abscheulich?«
    »Nein.«
    »Gut. Weißt du, es ist ein Glück, dass du bist, wie du bist, jedenfalls meistens. Stell dir nur mal vor, du hättest es gewohnheitsmäßig auf die Frauen anderer Männer abgesehen. Denk nur an all die eifersüchtigen Ehemänner. Ganze Legionen von ihnen. Du wärst schon ein Dutzend Mal erschossen worden.« Sie streichelte seine Hand. »Gut, das war das. Jetzt habe ich wenigstens ein echtes Geheimnis vor meinem lieben Verlobten. Er wird mich nie ganz besitzen. Selbst wenn ich all die aufregenden Affären nicht haben werde, kann ich sagen, dass ich in einem Landhaus von einem unflätigen jüdischen Boxer auf dem Klavier entjungfert wurde. Das ist grandios. Und diesem deutschen Dummkopf zufolge werden alle meine Babys jüdisch sein.« Sie lachte, aber er lachte nicht mit ihr, sodass sie zu ihm aufsah und sagte: »Ach, komm schon, wird es nicht langweilig, die ganze Zeit so ernst und unwirsch zu sein? Nie zu lächeln? Ich wette, du würdest es gerne können. Ich wette, du würdest es tun, wenn du wüsstest, dass niemand es sieht. Ich meine, ich weiß, dass ich gut darin bin, fröhlich und ironisch und all das zu sein, aber das bedeutet nicht, dass ich völlig …« Als er immer noch nicht sprach, runzelte sie die Stirn. »Um Himmels willen, sag doch irgendwas. Anstatt die ganze Zeit nur zu grunzen und mit den Schultern zu zucken. Sag etwas, das du auch so meinst. Einmal. Bitte. Oder kannst du das nicht?«
    Noch einmal trat eine lange Stille ein, und dann sagte Sinner leise: »Ich will nicht, dass dieser Scheißkerl meinen Körper bekommt.«
    »Was soll das heißen?«
    »Dein Bruder.«
    »Und was ist mit deinem Körper?«
    »Ich hab mich an ihn verkauft.«
    »An Philip?«
    »Ich gehöre ihm. Für immer. Für seine Experimente und alles andere. Ich hab einen Handel mit ihm gemacht.«
    »Lieber Gott, ich dachte, du wärst bei ihm, weil –«
    »Ist mir ganz egal, was er jetzt mit mir macht. Aber hinterher …«
    »Hinterher?«
    »Wenn ich tot bin. Er wird mich behalten. Wahrscheinlich will er meine Knochen ausmessen oder so. Wie in diesem Bild, das bei ihm hängt. Das will ich nicht. Lieber lebendig begraben werden wie diese Made von Diener.«
    »Du willst ein jüdisches Begräbnis?«
    »Ich scher mich ’nen Dreck um so ’n Judenbegräbnis. Ich will nur nicht, dass er mich für immer hat. Ich will in einem Loch ohne Namen drauf begraben werden, damit er mich nie finden kann. Ich könnte jetzt wegrennen, aber wenn ich in einem Loch mit meinem Namen drauf drinliege, findet er mich und buddelt mich aus. Er wird sich nehmen, was ihm gehört.«
    Sinner kam auf die Füße. »Ich brauch was zu trinken.«
    »Bitte nicht. Ich muss jetzt gehen und mich waschen, aber der Gedanke daran, dass du dich allein betrinkst, ist viel zu traurig.«
    »Mit wem zur Hölle soll ich denn hier trinken?«
    »Da wäre immer noch Casper Bruiseland«, sagte Evelyn.
    Sie hatte es als Scherz gemeint, aber Sinner sagte: »Hat der was zu saufen?«
    »Immer.«
    »Wo ist er?«
    »Er ist oben eingesperrt.«
    Als Sinner am Observatorium ankam, das Erskines Vater 1914 über dem Ostflügel errichtet hatte, stellte er allerdings fest, dass die Tür offen stand. Im Raum befanden sich Millicent Bruiseland, die auf

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