Flieg, Hitler, flieg!: Roman
aufgetragen, das Reden zu übernehmen, weil er der Meinung war, dass meine Zaghaftigkeit bei einer alten Frau gut ankommen würde. »Mein Name ist Kevin, und das ist … äh … ein Freund. Wir sind gekommen, weil wir hoffen, dass Sie vielleicht so freundlich wären, uns etwas über Seth Roach zu erzählen. Und der Geruch – ich fürchte, das bin ich. Er bleibt noch ein bisschen in der Luft hängen, wenn ich weg bin, aber Sie können so ein Spray benutzen.«
»Wissen Sie, es ist Jahre her, dass mich zuletzt jemand bei meinem richtigen Namen genannt hat. Southall. Niemand, seit Battle nicht mehr ist. Ich hätte nicht gedacht, dass ihn noch jemand kennt.«
Im Haus durften wir uns setzen, und sie machte Tee. Das Zimmer roch nach leicht saurer Milch, auf dem Kaminsims stand ein Rudel von kleinen Porzellanfüchsen. Die erste Bemerkung, die mir einfiel, war: »Wir sind heute schon in Claramore gewesen.«
»Ich bin jedes Jahr hingefahren, bis es mit meinem Rücken so schlimm wurde, dass ich die Zugfahrt nicht mehr durchgehalten habe. Ich wünschte, es würde abbrennen.«
»Was ist dort geschehen?«
»Viel ist dort geschehen.«
»Aber was geschah 1936?«
Sie sah überrascht aus. »Was soll das heißen? Ich dachte, das hätten Sie schon herausgefunden. Ich dachte, so hätten Sie schließlich mich gefunden.«
»Wir wissen nur sehr wenig.«
»Nun, Sie wissen über den armen alten Morton Bescheid.«
»Ja.« Ich hatte die Zeitungsausschnitte gelesen.
»Bruiseland war es. Ich habe nie herausgefunden warum. Ich lag im Bett und schlief, als es passiert ist.«
William Erskine, erzählte Tara weiter, hatte sie gegen zwei Uhr morgens geweckt, hatte gewartet, bis sie angezogen war, und sie dann leise nach unten in die Bibliothek gebracht, wo bereits Bruiseland und Alex Godwin warteten. Überall war Blut. Den beiden Dienstboten wurde mitgeteilt, dass sie das Haus verlassen und nach London gehen müssten, wo sie unter falschem Namen zusammenleben sollten. Man würde ihnen erlauben, all ihre Sachen mitzunehmen, und ihnen ein paar Wertsachen mitgeben, die sie jedoch nicht sofort verkaufen sollten. Wenn sie Ärger machten, würden sie mit Sicherheit beide für den Mord an Julius Morton gehängt.
Verängstigt und verwirrt, wie sie war, hatte Tara doch den Mut aufgebracht zu sagen, dass sie lieber getrennt von Godwin gehen würde, aber William Erskine erklärte, dass man ihnen nicht erlauben könne, getrennt zu leben, falls einer von ihnen auf die Idee käme, den anderen anonym bei der Polizei anzuschwärzen, und da sie ganz offensichtlich sowieso geplant hätten, durchzubrennen, sollte das eigentlich zu verkraften sein. Godwin schien entzückt. William Erskine ging nach oben, um ihre Taschen für sie zu packen, kam wieder herunter, setzte sie in den Wagen und fuhr sie persönlich nach London, wobei er auf dem Weg mehrfach betonte, dass Bruiseland und er jeden Richter und leitenden Polizeibeamten in Hampshire persönlich kannten. Als sie ankamen, gab er ihnen Geld, damit sie ein paar Wochen in einer Pension wohnen könnten, bis sie wieder Arbeit und eine Wohnung gefunden hätten, und dann machte er sich auf den Rückweg nach Claramore, wo er vor der Morgendämmerung eintreffen wollte. Für Tara und Godwin war es zu spät, um noch ein Zimmer zu finden, und deshalb wollten sie in einem Park übernachten, nur dass Godwin sofort aufdringlich wurde und ihre Schenkel dick mit feuchter Erde beschmierte. Also rannte sie davon, mit nichts als den Kleidern, die sie am Leib trug. Nachdem sie durch die Straßen gelaufen war, bis sie Blasen an den Hacken hatte, kam sie beim Haus der Garlicks in Kensington an, vor dem sie wartete, bis Evelyns Freundin Caroline am Vormittag ausging. Tara rannte auf sie zu und bat sie, Evelyn eine Nachricht zukommen zu lassen und ihr mitzuteilen, wo Tara sich aufhalte. Mehr wollte sie nicht erklären, weil sie zu viel Angst davor hatte, dass William Erskine und Bruiseland sie bestrafen würden.
»So kam es, dass ich in London landete. Jahrelang lebte ich in einer winzigen Wohnung in Spitalfields und nannte mich Tara Smith. Während des Kriegs lernte ich einen jungen Mann kennen, und wir verlobten uns sogar, aber dann fand er heraus, wer ich war, oder er hätte es jedenfalls beinahe herausgefunden, und ich musste mich von ihm trennen. Er war noch nicht einmal neugierig. Es war einfach Pech. Wie dem auch sei, als diese grässliche Stadt gebaut wurde, hatte der alte Lord Erskine den Löffel abgegeben, und Evelyn
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