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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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Elisabeth Bekanntschaft gemacht, die eng mit Erskines Schwester Evelyn befreundet war.) Folglich ist Roachmorton die vielleicht einzige britische Stadt, deren öffentliche Einrichtungen auf klassische Weise angeordnet sind: Wie Einträge in einer Grammatiktabelle liegen sie aufgereiht an einem breiten, von Bäumen gesäumten Boulevard. Und während viele Siedlungen aus der Nachkriegszeit dafür berüchtigt sind, dass es ihnen an Möglichkeiten zum Ausgehen fehlt, ist Roachmorton stolz darauf, einen Boxring (Premierland), ein Pub (das Caravan), einen Arbeiterclub (den UUC ) und ein Hotel (das Hotel de Paris) zu beherbergen, die ihre Namen alle mithilfe jener fleißigen Lokalhistoriker erhielten, um etwas zu kreieren, was spätere Zeitalter »kulturelles Erbe« und »historische Kontinuität« nannten. Ganz in der Nähe befinden sich das St.   Panteleimon’s Hospital, das Gittins-Museum für Entomologie und Philologie und ein Rathaus, das im charakteristischen Stil eines Landhauses in rotem Backstein und Marmor erbaut wurde und in dem auch die gut ausgestattete öffentliche Bibliothek untergebracht ist, von der die Besucher auf einen großen künstlich angelegten See blicken, der allgemein als »der Teich« bekannt ist. Wie Oscar Niemeyer, der Brasilia entwarf, lehnte Erskine es ab, das Gelände zu besuchen, bevor er seine Entwürfe machte, sodass er Roachmorton erst 1961 zu Gesicht bekam, als es fast zur Hälfte fertig war. Zu diesem Zeitpunkt hatte seine ehrgeizige Vision bereits höchstes Lob durch den Minister für Wohnungsbau und einen Leitartikel in der Times erhalten. Aber nur wenige Monate nach dem Eintreffen der ersten optimistischen Bewohner, als die Stadt quasi noch unter Herstellergarantie stand, begannen die Klagen.
    In Roachmorton war es zum Beispiel nicht möglich, seinen Schulweg zu variieren. Für jedes einzelne der vielen tausend freistehenden Häuser gab es einen jeweils mathematisch optimalen Weg zu den größeren Durchgangsstraßen, und wer auf eigene Faust beschloss, sich dieser Ordnung zu widersetzen, musste oft einen Umweg von zehn Minuten in Kauf nehmen. Und so traf man in der Nähe des eigenen Hauses selten jemand anderen als seine direkten Nachbarn. Noch seltener war ein solches Zusammentreffen im Zentrum: Wie ein Fischer in der Arktis erspähte man vielleicht in großer Ferne einen Freund, während man über den weitläufigen Boulevard zum Rathaus trottete, aber für einen kleinen Plausch von Angesicht zu Angesicht brauchte man einen detaillierten Stadtplan. Ein kleiner Moment der Unachtsamkeit genügte, um sich nur wenige Straßen vor der eigenen Haustür zu verlaufen, denn all die kleinen Sackgassen sahen völlig gleich aus, und häufig irrten die Exhibitionisten, die wegen der zahlreichen versteckten Unterführungen Tagesausflüge nach Roachmorton unternahmen, noch lange umher wie Minotauren in einem Labyrinth, nachdem sie den letzten Zug verpasst hatten. Da viele der Häuser zum Schutz der Privatsphäre auf die leere Seitenwand des nächsten Fertighauses sahen, machte es keine große Freude, aus dem Fenster zu schauen; aber zugleich konnte fast jede Familie auf einen Fehler in den Blickachsen hinweisen, was zum Beispiel bedeuten konnte, dass sie direkten Einblick in das Schlafzimmer des Hauses um die Ecke hatten. All das war natürlich ziemlich beklemmend, aber niemand wollte extra den Bus nehmen, nur um ein Bier im riesigen Caravan zu trinken, und in den Wohngebieten draußen gab es kaum Pubs oder Geschäfte, weil die großzügige Ausstattung im Zentrum ihr Vorhandensein angeblich überflüssig machte. Während jeder Tag neue Probleme brachte, die Erskine nicht vorausgesehen und an deren Lösung er kein besonderes Interesse hatte, berichteten viele der ersten Bewohner Roachmortons, dass sie das Gefühl hätten, im Exil zu leben; und bei unserem Besuch in Tara Southalls Haus – in dessen Umgebung die Straßen so leblos waren, dass man Spinnweben so groß wie Netze in Fußballtoren erwartete – verstand ich, warum.
    Vorher, im Claramore Hotel, war ich fast sicher gewesen, dass ich sterben würde. Sobald ich nicht mehr nützlich für den Waliser war, würde er mich unter seinem Absatz zerquetschen wie ein Insekt, und wir waren ewig auf der Suche gewesen, ohne auch nur den Hauch eines Hinweises zu finden. (Sicherlich gab es keinen Beweis für die Behauptung des Walisers, dass Seth Roach irgendwo auf dem Gelände begraben sei.) Aber schließlich wanderten wir in die Bar, von der wir

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