Flieg, Hitler, flieg!: Roman
überhaupt nicht an Erskine dachte, sondern an eine Bemerkung, die Casper Bruiseland in der vergangenen Nacht im Observatorium gemacht hatte, eine Bemerkung, die in polnischem Honigmet untergegangen war, bis das präkoitale Gespräch mit Erskine seinem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen hatte; eine Bemerkung über einen schlauen neuen Plan, wie Casper eine Menge Geld aus seinem Vater herausholen konnte.
SECHZEHNTES KAPITEL
Während ich auf Tara Southalls bequemem Sofa saß und Tee schlürfte, ging mir Folgendes durch den Kopf: Kevin, du musst dich wirklich mal zusammenreißen. Wenn du nicht nebenher mit Stuart gechattet hättest, während du deine Suche nach »Philip Erskine« gestartet hast, dann wäre dir vielleicht aufgefallen, dass der Wissenschaftler, der den Brief von Hitler bekommen hat, und der Planer einer Stadt in Berkshire nicht unbedingt zwei verschiedene Personen sein müssen. Wenn du dir nicht angewöhnt hättest, Wikipedia-Seiten nur zu überfliegen, hättest du dir eventuell merken können, ob für den Stadtplaner ein Todesdatum angegeben war. Und wärst du nicht so besessen von ariosophischen Verschwörungen gewesen, hättest du vielleicht nicht ganz so lange gebraucht, um zu dem Schluss zu kommen, dass es Philip Erskine persönlich war, der im Alter von achtundneunzig Jahren einen blutrünstigen Waliser damit beauftragt hatte, Seth Roachs Leiche aufzuspüren.
1957, kurz vor seinem zweiten, tödlichen Schlaganfall, wurde Edgar Aslet in das Komitee des East Berkshire Regional Plan berufen. Gebeten, talentierte junge Männer vorzuschlagen, die die Empfehlungen des Komitees in die Tat umsetzen sollten, wählte er den Mann, der von allen Söhnen seiner Freunde am geeignetsten schien, einen mäßigenden, konservativen Einfluss auf das fragwürdige Konzept sozialer Wohnsiedlungen auszuüben. Als Philip Erskine zu seiner ersten Sitzung eintraf, erkannte Aslet diesen enthusiastischen Evangelisten der New-Towns-Politik der Regierung allerdings kaum wieder. Erskine wurde nicht müde, über die Ideen eines Amerikaners namens Balfour Pearl zu sprechen, der zu seinem Freund und Mentor geworden war, nachdem er ihn 1949 zufällig auf einem Gala-Empfang in Manhattan kennengelernt hatte. (Weder Die Entdeckung der Harmonie. Das Leben Philip Erskines noch Seht meine Werke. Balfour Pearl und der Niedergang New Yorks macht exakte Angaben darüber, um welchen Gala-Empfang es sich gehandelt haben könnte.) Pearl war von seinem Regierungsposten vertrieben worden und verbrachte jetzt den Großteil seiner Zeit in Los Angeles, aber seine Ideen waren so einflussreich wie eh und je, und Erskine war entschlossen, sie im Süden Englands umzusetzen, denn dort bestand selbst nach einem Jahrzehnt hektischer Bautätigkeit, wie er in einem Bericht schrieb, noch »ein dringendes Bedürfnis, gute Familien aus den dunklen, übervölkerten und moralisch korrupten Städten zu holen und in vernünftigen neuen Gemeinden anzusiedeln, in denen die besten Eigenschaften des ländlichen und des städtischen Lebens zusammentreffen«. Obgleich Erskine mit jetzt siebenundvierzig Jahren immer noch wenig bis gar keine praktische Erfahrung in der Stadtplanung hatte, waren sein Enthusiasmus und sein Wissen so beeindruckend, dass das Komitee ihm schon bald die Verantwortung für eine New Town übertrug, die südlich von Hungerford errichtet werden sollte. Nachdem er ortskundige Historiker konsultiert hatte (wieder gibt Die Entdeckung der Harmonie nicht genau an, wann diese Konsultationen stattfanden), beschloss Erskine, die neue Siedlung nach einem kaum bekannten mittelalterlichen Dorf »Roachmorton« zu nennen.
Wenn Sie nach Roachmorton hineinfahren, wie ich es drei oder vier Stunden nach unserem Besuch in Claramore mit dem Waliser tat, werden Sie als Erstes die große Menge gigantischer Verkehrskreisel bemerken. Sie dominieren das Landschaftsbild, und es fällt schwer zu glauben, dass das Straßensystem zum Nutzen der Stadt gebaut wurde und nicht umgekehrt. Aber Roachmorton hat viel mehr zu bieten als Kreisverkehr. Trotz einer geplanten Bevölkerungszahl von unter fünfzigtausend war Erskine entschlossen, dass Roachmorton etwas von der glänzenden Größe einer Stadt wie Neu-Delhi haben sollte, denn er bewunderte deren Schöpfer Edwin Lutyens beinahe so heftig wie Balfour Pearl. (Erskine bedauerte, dass er keine Gelegenheit gehabt hatte, Lutyens vor dessen Tod im Jahre 1944 kennenzulernen, aber wenigstens hatte er inzwischen mit Lutyens Tochter
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