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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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umgedrehte Badewanne und überlegte, was er jetzt tun sollte. Das war der Augenblick, in dem er Sinner sah, der die Feuerleiter der Fabrik auf der anderen Seite hinunterkletterte. Er trug ein enges schwarzes Hemd und ein Messer zwischen den Zähnen wie ein Pirat.
    Im August, als er aus Claramore zurückgekommen war, hatte Sinner Erskines Auto an einen von Kölmels Kumpanen verkauft, und von dem Geld hatte er sich eine Weile ein Zimmer mit Halbpension leisten können; aber obwohl er noch oft das Gefühl hatte, dass seine Innereien eine gewagte Flucht planten, sah er nach fünf Monaten in Erskines fragwürdiger Pflege präsentabel genug aus, um wieder ins Caravan gelassen zu werden, sodass ein Großteil des Geldes für Gin draufgegangen war. Doch eins war sicher: Er wollte auf keinen Fall noch einmal einen Winter auf den Straßen oder im St.   Panteleimon’s verbringen. Als er im Oktober ein Gerücht hörte, dass jemand in Chelsea Bargeld für »Ordnungskräfte« zahlte, machte er sich deshalb noch am selben Tag auf den Weg. Er würde tun, was immer er tun musste. Inzwischen wurde er nicht mehr ganz so wütend, wenn er irgendwo ein Plakat sah, das einen Titelkampf im Premierland ankündigte und auf dem Namen standen, die er noch nie gehört hatte. All das schien lange her zu sein. Und doch träumte er immer noch gelegentlich davon, im Ring zu stehen.
    Was er an der King’s Road vorfand, war eine Kreuzung zwischen einer Zeitungsredaktion und einer Art Kaserne. Alle rannten in schwarzen Hemden umher, und Sinner wurde schnell klar, dass es sich bei diesen Leuten um dieselben Judenhasser handeln musste, angeführt von demselben Mosley, über die er sowohl Frink als auch Erskine oft (aus sehr unterschiedlichen Gründen) hatte herziehen hören – aber es war leicht verdientes Geld, und war es nicht ohnehin sinnvoller, Geld von einem Judenhasser zu nehmen als von einem anderen Juden? Schließlich fand er jemanden, der stehen blieb und mit ihm sprach, einen sehr großen Mann mit einem Schnurrbart wie eine Lenkstange und einer Motorradbrille, der ihm mitteilte, sie hätten mehr gute Kandidaten, als sie benötigten, um die Ordnung bei ihren Versammlungen aufrechtzuerhalten, aber eventuell brauchten sie Verstärkung für den Marsch durchs East End am Sonntag. Sinner erklärte seinerseits, dass er sich im East End auskenne, dass er Boxchampion gewesen sei, und dass es ihm nichts ausmache, sich für ein paar Shilling die Knöchel blutig zu machen. Der Mann sagte, er könne in drei Tagen wiederkommen.
    Das tat er, und man gab ihm ein schwarzes Hemd, das ihm nicht einmal vom Lohn abgezogen wurde. Die anderen Männer frotzelten, er sehe ein bisschen »orientalisch« aus, und als ihm klar wurde, dass sie jüdisch meinten und nicht chinesisch, sagte er, er würde so viele Schweinekoteletts essen, wie sie ihm zu kaufen bereit waren, und sie kicherten alle und schlugen ihm auf den Rücken und gingen dazu über, Witze über seine Größe zu machen. Im Verlauf des Vormittags vertrieben sich einige von ihnen die Zeit mit ein bisschen Sparring, und es stellte sich heraus, dass keiner auch nur einen Schimmer hatte, wie man kämpfte. Er mochte diese Schwarzhemden nicht besonders. Erskine war ein Wichser und ein Niemand gewesen, aber zumindest hatte er das genau gewusst.
    Schließlich setzte sich der Zug um die Mittagszeit in Bewegung, aber sie kamen nur bis zur Tower Bridge, wo sie anhalten mussten. Am Ende der Royal Mint Street standen berittene Polizisten und versperrten den Weg. Hinter ihnen erklang das Brüllen des ortsansässigen Mobs, ein Brüllen mit einem Akzent, an den Sinner sich aus dem Premierland erinnerte. Dabei war Mosley noch nicht einmal eingetroffen. Nachdem sie fast eine Stunde dort vertrödelt hatten, sagte Albertson, einer der Anführer der Schlägertruppe, dass es vielleicht möglich wäre, sich dem Ziel über die Seitenstraßen zu nähern, um dann loszustürmen und die Barrikade von der anderen Seite niederzureißen: »Diese Judenlümmel werden nicht mal wissen, was sie erwischt hat.« Sinner kannte einen Schleichweg, den er schon als Kind ausfindig gemacht hatte: eine Gasse hinunter, an den Rückseiten einiger Läden vorbei, über ein paar niedrige Dächer, von denen er fast ins Fenster seiner Eltern sehen konnte, und dann quer über den Müllplatz. Dort hatte er oft mit seiner Schwester Verstecken gespielt, und dorthin hatte er manchmal Jungen aus der Gegend mitgenommen, bevor er die reizvolleren Möglichkeiten in

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