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Fliege machen

Fliege machen

Titel: Fliege machen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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diese Zeitung
hatte der Penner in Molles Kneipe unterm Arm gehabt.

    Er war also noch einmal hier gewesen!

    Er hatte die Zeitung hierher zurückgebracht.

    Um dann zu verschwinden.

    Â 

16.

    Â»Ey, Engel. Dein Plattenpapa war da.
Ist eben wieder raus«, berichtete Dicke, als wir gleich darauf wieder unter der
Plane hindurch in den Unterschlupf der beiden Jugendlichen krabbelten. Das
übergewichtige Mädchen lag lang ausgestreckt auf dem Sofa, die Beine auf der
Lehne. Glücklicherweise hatte auch sie ihre Stiefel wieder angezogen.

    Â»Wollte was von dir. Keine Ahnung, wo du steckst, hab ich
gesagt. Und dass ich ihm die Fresse blau hau, wenn er es noch mal wagt, mich zu
wecken.«

    Â»Plattenpapa?«, versuchte ich, mich weiterzubilden.

    Â»Mein Sozialonkel«, erklärte mir Engel. »Der Wichser weiß
eigentlich genau, dass ich so früh am Morgen kein’ Bock auf ihn hab.«

    Engel zündete sich eine Zigarette an.

    Â»Das interessiert den Wichser wenig, das solltest du mittlerweile
wissen, Nina.« Der Typ, der sich mühsam unter der Plane durchwurschtelte, war
die lebendig gewordene Karikatur eines Sozialarbeiters. Groß und hager, mit
überlangen, baumelnden Armen. Sah aus, als würde er auf Händen und Füßen
laufen, wie ein Schimpanse.

    Sein Gesicht war rechteckig, seine hellbraunen Locken zu lang
und zu Jeans und Turnschuhen trug er einen Ohrring. Typischer Öko, von der
Sorte, die in ihrer Freizeit winzige Zäune am Straßenrand errichteten, um
wandernde Kröten vor dem Plattgefahrenwerden zu bewahren.

    Der Mann trat zwischen uns und legte Engel kumpelhaft
einen Arm um die Schultern. Aus dem anderen Ärmel seiner Daunenjacke schüttelte
er eine Armbanduhr.

    Obwohl mein leicht radikales Umweltbewusstsein prinzipiell
mit Krötenrettern sympathisierte, wollte sich bei Engels Plattenpapa keine
automatische Gleichgesinnung einstellen. Seine Umarmung war für meinen
Geschmack zu dicht. Ich fragte mich, ob das zu den üblichen Vertrauensaufbaustrategien
eines Streetworkers gehörte? Oder zählte der Vogel zu den Männern, die bei
jungen Mädchen eine normalerweise selbstverständliche Distanz für unnötig hielten?

    Von wem war Engel eigentlich schwanger?

    Â»Halb elf. Du hast doch nicht etwa unser Date vergessen?«

    Â»Leck mich, Hagen, ich hab ’n Schädel!«, bockte Engel und
wand sich aus seinem Griff.

    Â»Wir hatten doch abgemacht, dass du weniger trinkst.«

    Â»Ich trinke weniger!«

    Der Krötenretter warf einen unzufriedenen Blick auf die
Zigarette in Engels Hand.

    Â»Ey, ich rauche auch weniger.«

    Â»Ich fände es gut, wenn du jetzt mitkommst und es dir
ansiehst. Es ist nicht leicht, einen Platz in einem Mutter-Kind-Haus zu
bekommen. Außerdem kannst du dort mal mit Sammy reden. Sie hat während der
Schwangerschaft Kette geraucht, dadurch ist der Mutterkuchen verkalkt und der
kleine Leon wurde nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt.«

    Â»Scheiße, da hab ich kein’ Bock drauf«, wehrte sich
Engel.

    Â»Du kannst immer noch zu mir ziehen«, bemerkte der Sozialarbeiter
ironisch.

    Auch sein Humor gefiel mir nicht.

    Â»Kennen wir uns eigentlich schon?«, wandte sich der Mann
prompt an mich, ohne weiter auf Engels Abwehr einzugehen. »Wie heißt du?«

    Es dauerte einen Augenblick, bis ich kapierte, dass er
auf eine Antwort von mir wartete. Und einen weiteren Augenblick, bis ich
begriff, dass es gefährlich für mich wurde.

    Â»Geht Sie nix an!«, schnauzte ich abwehrend.

    Er musterte mich abschätzend. Aus der Nähe betrachtet
waren seine Augen wässrig trüb, als hätte auch er schon den einen oder anderen
Joint zu viel geraucht. »Bist du volljährig?«

    Â»Logisch.«

    Er winkte ab: »Wenn dich einer vermisst gemeldet hat,
krieg ich’s sowieso raus.«

    Ich schwieg, doch mein Herz hopste erschrocken in die
Höhe. Konnte es sein, dass mich meine Eltern als vermisst gemeldet hatten?

    Blöde Frage – ich war seit mehreren Monaten spurlos verschwunden.
Entweder war mein Vater vor Wut darüber geplatzt oder er hatte seine
Beziehungen als Oberstaatsanwalt genutzt, um mich europaweit zur Fahndung
ausschreiben zu lassen.

    Ich bemerkte das weiße Pappkärtchen, das vor meiner Nase
hin- und herwedelte.

    Â»Falls du Hilfe brauchst.«

    Wütend schnappte ich dem Krötenretter die Karte aus der
Hand. Sein

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