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Fliege machen

Fliege machen

Titel: Fliege machen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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verschlossen gewesen, vermutete ich, denn
sonst hätte sie im Zirkus mit bloßen Händen Eisenstangen verbiegen können und
nicht auf der Straße leben müssen.

    Mit einem kurzen Griff schob die Übergewichtige ihre
kräftigen Finger durch das Stahlgitter und hob das knirschende Zaunelement aus
dem Zementfuß.

    Engel und ich schlüpften durch die entstandene Lücke,
bevor Dicke den Zaun wieder zuwuchtete.

    Möglicherweise stand ihr doch eine
Eisenverbieger-Karriere offen, es hatte nur noch niemand ihr Supertalent
gecastet.

    Dicke dekorierte Kette und Vorhängeschloss wieder gut
sichtbar zur Straße. Die Straßenlaternen blieben hinter uns zurück, nur der
blasse Wintermond beleuchtete den unebenen Boden des Baugeländes. Beinahe sofort
stolperte ich über eine harte Kante, landete auf Händen und Knien.

    Â»Autsch!«

    Â»Pass auf. Hier gibt es keinen Weg«, informierte mich
Engel.

    Danke für die Warnung.

    Meine Augen durchfraßen die Finsternis, trennten Schatten
von Umrissen. Allmählich ahnte ich die tiefen Rinnen, die die Reifen schwerer
Fahrzeuge im Matsch hinterlassen hatten und die jetzt hart gefroren
scharfkantige Hindernisse bildeten. Außerdem erkannte ich rechts und links von
uns mehrere kegelförmig aufgeschüttete Hügel. Ein eckiges, dunkles Gebäude
ragte vor uns in den Nachthimmel wie ein schwarzer Felsen. Durch eines der
Fenster schimmerte fahles Mondlicht – besser gesagt durch die Fensteröffnung,
denn die Scheiben fehlten noch. Genau wie ein Dach. Wir befanden uns auf einer
Baustelle.

    Hier also verkrochen sich Engel und Dicke nachts. Praktisch.
Denn die Zwischendecke zum ersten Stock war bereits eingezogen worden und so
war zumindest das Erdgeschoss halbwegs trocken.

    Ob Bohnes Schlägertruppe hier ebenfalls ihren Unterschlupf
hatte?

    Ich folgte den beiden Mädchen ein paar Betonstufen hinauf.
Die halb fertige Treppe führte zu einer schwarzen Öffnung, in die irgendwann
mal die Haustür eingesetzt werden sollte. Aus dem Schatten der Stufen angelte
Dicke eine Taschenlampe.

    Gut ausgerüstet waren die beiden.

    Gleich darauf flammte der strahlend helle Lichtkegel auf.

    Â»Wir schlafen da vorn, unter der Treppe. Da sieht man das
Licht von draußen nicht«, erklärte mir Engel, während wir Dicke und dem Licht
durch den Rohbau folgten.

    Â»Kriegen wir denn keinen Besuch von dem Besitzer?«

    Â»Edgar sagt, der ist pleite, wegen der Krise und so. Das
ganze Ding sollte schon versteigert werden, wollte aber keiner. Wir sind seit
über zwei Wochen hier.«

    Und sie hatten es sich bequem gemacht: An den Treppenstufen,
die in den nicht vorhandenen ersten Stock führten, hatten die beiden mit losen
Betonbrocken eine blaue Bauplane befestigt. Wie ein Vorhang schützte das
raschelnde Plastik eine Nische unter der Treppe. Das Ganze erinnerte an eine
Butze, die Fünfjährige aus Decken und Stühlen bauten. Nur dass die ihre
Wolldecken nicht mit kiloschwerem Beton befestigten. Wenn jemand an der Plane
hängen blieb, würden die Brocken herunterkommen …

    Dicke hob die Folie zur Seite und ich achtete darauf,
mich nicht zu verheddern, als ich den Mädchen in ihr Reich folgte. Dicke hängte
die schwere Taschenlampe an einen Stahlträger.

    Wow!

    Im Inneren der Bude stand ein hellblaues Sofa, das auf
den Namen Klippan hörte. Dem Dumpingwahn des Herstellers hatte es zu verdanken,
dass es in dieser Bauruine ein Gnadenbrot erhielt, denn wäre es nicht aus
billigstem und damit leichtem Sperrholz gefertigt, hätten Dicke und Engel das
Ding nicht auf dem Sperrmüll einsammeln und hierher tragen können.

    Klippans Armlehnen waren aufgeschlitzt, die Polster mit
Bierflecken und Brandlöchern übersäht. Auf dem rissigen Betonboden vor der
Couch befand sich ein Lager aus weiteren Sofapolstern – allerdings ohne Sofa.
Außerdem entdeckte ich einen Fünf-Euro-Grill, einen Sack Grillkohle und eine
hölzerne Mandarinenkiste – voll mit Leergut. Jägermeister, Wodka, Bier.

    Eine Oase der Gemütlichkeit.

    Â»Engel kriegt das Sofa«, bestimmte Dicke.

    Wie fürsorglich. Dachte hier zur Abwechslung mal irgendwer
daran, dass Engel schwanger war?

    Â»Du kannst mit mir auf ’m Boden pennen.« Dicke fletschte
furchteinflößend das Gebiss, und es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff,
dass das ein Lächeln sein sollte.

    Super. Das Lager aus

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