Fliegende Fetzen
daß die Prozession langsamer vorankam, hätte der Attentäter vermutlich besser zielen können. Aber die besonderen Umstände ließen ihn in Panik geraten. Ja… der Prinz dürfte bereit sein, sich mit dieser Erklärung abzufinden.«
»Der Prinz?« fragte Mumm. »Aber der arme Kerl…«
»Sein Bruder«, sagte der Patrizier.
»Ah. Der Nette?«
»Danke, Kommandeur«, fügte Lord Vetinari hinzu. »Ich danke euch allen, meine Herren. Ich möchte euch jetzt nicht länger aufhalten. Oh, Mumm, wenn du noch einige Minuten erübrigen könntest… Du kannst gehen, Hauptmann Karotte. Bestimmt wird irgendwo ein Verbrechen verübt.«
Mumm starrte an die gegenüberliegende Wand, während sich um ihn herum das Zimmer leerte. Vetinari stand auf und trat erneut ans Fenster.
»Es sind seltsame Zeiten, Kommandeur«, sagte er.
»Herr.«
»Zum Beispiel erfuhr ich, daß Hauptmann Karotte heute nachmittag auf dem Dach des Opernhauses herumkletterte und Pfeile in Richtung Schießstand schoß.«
»Ein sehr aufmerksamer junger Mann, Herr.«
»Es könnte durchaus sein, daß die Entfernung zwischen dem Dach des Opernhauses und den Zielscheiben des Schießstandes ebenso groß ist wie die zwischen dem Vorwerk und der Stelle, an der Prinz Khufurah getroffen wurde.«
»Ein sonderbarer Zufall, Herr.«
Vetinari seufzte. »Und warum war Karotte in der Richtung aktiv?«
»Nun, es ist komisch, Herr, aber neulich sprach er davon, jeder Bürger der Stadt sei verpflichtet, sich eine Stunde pro Tag im Bogenschießen zu üben. Der Gesetz stammt aus dem Jahr 1356 und wurde nie außer…«
»Weißt du, warum ich Hauptmann Karotte eben fortgeschickt habe, Mumm?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Weil er sehr ehrlich ist, Mumm.«
»Ja, Herr.«
»Und weißt du auch, daß er zusammenzuckt, wenn er dich lügen hört?«
»Wirklich, Herr?«
Verdammt.
»Ich ertrage es einfach nicht zu beobachten, wie der arme Junge dauernd das Gesicht verzieht, Mumm.«
»Das ist sehr rücksichtsvoll von dir, Herr.«
»Wo befand sich der zweite Bogenschütze, Mumm?«
Verdammt!
»Der zweite Bogenschütze, Herr?«
»Hast du jemals den Wunsch verspürt, zur Bühne zu gehen, Mumm?«
Im Augenblick wäre ich zu allem bereit, nur um dieses Zimmer zu verlassen, dachte Mumm.
»Nein, Herr.«
»Schade. Ich glaube, du bist ein großer Verlust für die Schauspielkunst. Wenn ich mich recht entsinne, hast du erwähnt, das Fenster sei wieder geschlossen worden.«
»Ja, Herr.«
»Indem man es mit Brettern vernagelt hat?«
Mist.
»Ja, Herr.«
»Von außen?«
Mist!
»Ja, Herr.«
»Ein sehr geschickter
einzelner
Bogenschütze.«
Mumm verzichtete auf einen Kommentar. Vetinari setzte sich wieder an den Schreibtisch, preßte die Fingerspitzen gegeneinander, hob sie an die Lippen und musterte den Kommandeur.
»Colon und Nobbs kümmern sich um den Fall? Im Ernst?«
»Ja, Herr.«
»Wenn ich beschlösse, dich nach dem Grund zu fragen… Würdest du dann vorgeben, mich nicht zu verstehen?«
Echte Verwunderungsfalten bildeten sich auf Mumms Stirn. »Herr?«
»Wenn du noch einmal in einem so dämlichen Tonfall ›Herr‹ sagst, bekommst du Schwierigkeiten, das verspreche ich dir.«
»Es sind gute Wächter, Herr.«
»Allerdings gäbe es durchaus Grund, sie als einfallslos und stumpfsinnig zu bezeichnen. Außerdem neigen sie dazu – wie soll ich es ausdrücken? –, die erste sich bietende Erklärung zu akzeptieren und dann irgendeine stille Ecke aufzusuchen, um in aller Ruhe zu qualmen. Es mangelt ihnen an Vorstellungskraft, und sie haben die Tendenz, sich nur die absolut notwendige Mühe zu geben, wenn möglich, weniger. Nun, bei solchen Leuten muß man mit voreiligen Schlüssen rechnen.«
»Ich hoffe, du erhebst keine Vorwürfe gegen meine Männer, Herr.«
»Man braucht gar keine Vorwürfe gegen Feldwebel Colon und Korporal Nobbs zu erheben, Mumm – sie
sind
ein einziger Vorwurf.«
»Herr?«
»Und doch… Komplikationen können wir uns derzeit nicht leisten, Mumm. Ein dummer, naiver Einzeltäter, ganz offensichtlich übergeschnappt. Nun, es gibt viele Verrückte. Die ganze Sache ist ein bedauerlicher Zwischenfall.«
»Ja, Herr.« Der Patrizier wirkte abgespannt, und Mumm sah Platz genug für einen Hauch Anteilnahme.
»Auch Fred und Nobby mögen keine Komplikationen, Herr.«
»Wir brauchen einfache Antworten, Mumm.«
»Herr. Fred und Nobby sind die Richtigen für Einfaches.«
Der Patrizier wandte sich ab und blickte über die Stadt.
»Ah«, sagte er leiser und
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