Fliegende Fetzen
jedenfalls.«
Feldwebel Colon und Korporal Nobbs waren auf Streife. Sie wußten nicht genau, warum sie Streife gingen und was sie unternehmen sollten, wenn sie ein Verbrechen wahrnahmen – glücklicherweise waren sie durch jahrelange Erfahrung in der Lage, selbst große Verbrechen zu übersehen. Es war reine Angewohnheit: Sie waren Wächter, und deshalb gingen sie Streife. Ein bestimmtes Ziel gab es dabei nicht. Es war gewissermaßen die
Essenz
des Streifegehens. Nobby wurde dabei von einem ziemlich großen, in Leder gebundenen Buch behindert, das er in beiden Armen trug.
»Ein Krieg kann der Stadt bestimmt nicht schaden«, sagte Feldwebel Colon nach einer Weile. »Das gibt den Leuten wieder mehr Rückgrat. Heutzutage ist alles vor die Hunde gekommen.«
»Nicht so wie damals, als wir Kinder waren, Feldwebel.«
»Da hast du ganz recht, Nobby. Nicht so wie damals, als wir Kinder waren.«
»Damals vertrauten sich die Leute gegenseitig, stimmt’s, Feldwebel?«
»Ja, die Leute begegneten sich mit Vertrauen, Nobby.«
»Und sie brauchten ihre Türen nicht abzuschließen, habe ich recht?«
»Das stimmt, Nobby. Und die Leute waren immer bereit, Hilfe zu leisten. Sie gingen in den Häusern anderer Leute ein und aus.«
»Ja, Feldwebel«, sagte Nobby mit Nachdruck. »Ich weiß, daß in
unserer
Straße niemand die Tür abschloß.«
»Genau das meine ich. Darum geht’s.«
»Weil die verdammten Mistkerle sogar die Schlösser klauten.«
Colon dachte darüber nach.
»Ja, aber wenigstens beklauten sie sich gegenseitig. Ich meine, es waren keine
Ausländer,
die stahlen.«
»Ja.«
Sie schlenderten weiter, und eine Zeitlang hing jeder seinen eigenen Gedanken nach.
»Feldwebel?«
»Ja, Nobby?«
»Was bedeutet ›Mariage‹?«
»Mariage?«
»Ich schätze, es ist ein Ort. Ein ziemlich warmer noch dazu, glaube ich.«
»Oh,
Mariage
«, sagte Colon und ließ seiner Phantasie freien Lauf. »Ja. Natürlich. So nennt man einen Ort in Klatsch. Dort gibt es jede Menge Sand. Und Berge. Wichtigster Exportartikel sind Datteln. Wieso fragst du?«
»Oh… nur so.«
»Nobby?«
»Ja, Feldwebel?«
»Warum schleppst du das große Buch mit dir herum?«
»Ha, tolle Idee, Feldwebel. Ich hab gehört, was du über das Buch deines Urgroßvaters erzählt hast, und deshalb habe ich beschlossen, mir das hier vom alten Waschtopf auszuleihen – für den Fall, daß es zum Kampf kommt.
Das Buch Om.
So heißt es. Und es ist fast fünfzehn Zentimeter dick.«
»Für die Brusttasche einer Uniformjacke scheint es mir ein wenig zu groß zu sein. Ehrlich gesagt: Es ist sogar zu groß für einen
Karren
.«
»Ich will ein Gestell bauen, um es zu tragen. Selbst wenn jemand mit einem Langbogen auf mich schießt – ich wette, der Pfeil käme höchstens bis zu den Apokryphen.«
Die beiden Wächter sahen auf, als sie ein vertrautes Knarren hörten.
Der Kopf eines Klatschianers schwang im Wind hin und her.
»Was hältst du von einem Bier?« fragte Feldwebel Colon. »Der Große Anjie braut eins, das es in sich hat.«
»Darauf sollten wir besser verzichten, Feldwebel. Herrn Mumms Stimmung ist derzeit ziemlich mies.«
Colon seufzte. »Ja, du hast recht.«
Nobby blickte erneut zu dem Kopf empor. Er bestand aus Holz. Im Lauf der Jahrhunderte war er immer wieder neu bemalt worden. Der Klatschianer lächelte sehr fröhlich für jemanden, der sich nie wieder ein Hemd kaufen mußte.
»Zum klatschianischen Kopf«,
sagte Colon. »Mein Großvater erzählte mir, daß sich
sein
Großvater noch an eine Zeit erinnerte, als ein echter Kopf über der Tür hing. War damals natürlich längst auf die Größe eine Walnuß geschrumpft.«
»Eigentlich ein bißchen scheußlich«, sagte Nobby. »Ich meine, einen Kopf aufzuspießen und ihn über den Eingang einer Taverne zu hängen.«
»
Nein,
Nobby. Kriegsbeute, verstehst du? Jemand kehrte aus einem der damaligen Kriege mit einem Souvenir heim, befestigte es an einem Pfahl und eröffnete eine Taverne.
Zum klatschianischen Kopf.
Sollte ihnen eine Lehre sein.«
»Ich bekam schon Schwierigkeiten damit, nur weil ich ein paar Stiefel mitgehen ließ«, meinte Nobby.
»Damals konnte man sich mehr erlauben«, erklärte Colon. »Die Zeiten waren… robuster.«
»Bist du jemals einem Klatschianer begegnet, Feldwebel?« fragte Nobby, als sie durch die stille Straße schritten. »Ich meine, einem wilden.«
»Äh… nein… Aber weißt du, was? Jeder von ihnen darf drei Frauen haben! Das ist kriminell, jawohl!«
»Da bin
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