Fliegende Fische Band (Junge Liebe ) (German Edition)
Fragen aufwirft: Was, wenn man einsfünfundachtzig wäre, sportlich, dunkelhaarig, ein Strahlemann und tauglicher Basketballspieler? Hätte die Geschichte ein anderes Ende genommen?
Aber man ist es nicht, man ist einszweiundsiebzig mit dem Gewicht von einssechzig, man ist straßenköterblond und nicht besonders strahlend und hat ein Talent dafür, sich überflüssige Fragen zu stellen.
Daniel packt seine Tasche: Handy, Schlüssel, Asthmaspray, etwas Geld, Notizblock und Stift.
„Ich bin dann weg“, sagt er in die Küche, wo seine Mutter am Laptop sitzt und Nachrichten liest.
„Viel Spaß“, sagt sie. „Kommst du tagsüber noch mal rein?“
„Weiß ich nicht.“
„Ruf mich an, wenn’s später wird.“
„Mach ich. Tschau.“
„Lass dich nicht unterkriegen“, ruft sie ihm nach, als er die Tür schon ins Schloss zieht.
In der Stadt ist der Teufel los. Während die Autos auf den verstopften Straßen lange, glitzernde Schlangen bilden, kommt Daniel mit dem Fahrrad immerhin bis an den Rand der Innenstadt, bevor eine Straßensperre ihn bremst. Es wird ein heißer Tag werden, es ist jetzt schon heiß, der Himmel spannt sich sehr hoch und durchsichtig blau über den Dächern.
Daniel schiebt sein Fahrrad an der rot-weißen Absperrung entlang, bis er einen Durchschlupf findet und in die Fußgängerzone einbiegen kann.
Zusätzlich zum samstäglichen Einkaufswahn ist die Fußgängerzone überfüllt von Leuten, die Transparente tragen und offenbar auf dem Weg zur Kundgebung auf dem Kirchplatz sind, Schlachtenbummler und Reisegruppen, die sich einen denkbar schlechten Tag ausgesucht haben, um sich die Innenstadt anzusehen. Träge wälzt sich der Menschenstrom ins Zentrum. Daniel schließt sein Fahrrad an einen Laternenpfahl in einer Seitenstraße. Wäre er mit den Öffentlichen gefahren, dann müsste er jetzt nicht befürchten, dass ihm irgendein Idiot den Sattel klaut oder die Luft aus den Reifen lässt.
Widerstrebend lässt er sein Fahrrad allein und stürzt sich ins Gewühl.
Was für ein irrsinnig unsinniger Plan, tausende von Menschen um sich herum zu ertragen, wo man sich doch eigentlich nur für einen von ihnen interessiert. Der wahrscheinlich sowieso noch in irgendeinem Bett liegt und sich den Freitagabend-Rausch ausschläft.
Mit einem Mal will Daniel nur noch weg. Es ist jetzt schon zu heiß, zu eng, zu stressig, zu schwierig.
Eine japanische Touristengruppe rollt auf ihn zu, Daniel weicht mit einem großen Schritt in die nächste Buchhandlung aus.
Es ist ein Antiquariat. Daniel kennt den Laden flüchtig; er hat hier gelegentlich nach günstigen Ausgaben für Schullektüren gesucht und auch schon mal gebrauchte CDs gekauft. Er mag den Laden gerne. Das Haus ist alt und krumm, die Dielenbretter knarren. Von draußen hört man das Rauschen des Flusses und das gleichmäßige Gemurmel des Passantenstromes, der sich an der offenen Ladentür vorbeischiebt.
Heute ist es nicht ganz so ruhig hier drin wie in Daniels Erinnerung, was vor allem daran liegt, dass jemand das Radio aufgedreht hat und zwischen den Regalen Luftgitarre spielt. Daniel braucht einen Augenblick, bis er den großen, langhaarigen Mann zugeordnet hat: Es ist Paddy mit dem Motorrad und etwas an ihm erinnert Daniel schmerzhaft an Mick.
Dann wird die Musik schlagartig leiser.
„He“, sagt Paddy empört.
„Kundschaft.“ Der Typ, der hier arbeitet, kommt zwischen den Regalen hervor. „Die Vorstellung ist beendet.“ Und zu Daniel: „Komm ruhig rein. Er beißt nicht.“
„Ähm“, sagt Daniel. „Hi.“
Er ist der einzige Kunde und will nicht einmal etwas kaufen. Er kann nur versuchen, sich unauffällig aus dem Laden zu schleichen.
Was schwierig wird, denn Paddy hat ihn erkannt und kommt strahlend auf ihn zu.
„He! Ist das nicht mein guter Freund … wie war noch dein Name? Detlev?“
„Daniel.“
„Genau“, sagt Paddy glücklich. „Daniel. He, wie geht es dir? Was macht dein Musiker?“
„Er ist nicht mehr mein Musiker“, sagt Daniel. „Wenn er es jemals war.“
„Oh“, sagt Paddy bestürzt. „Warum das denn?“
„Kann ich dir helfen?“, fragt der Buchhändler mit freundlicher, unverbindlicher Stimme, als hätte das Gespräch soeben gar nicht stattgefunden. „Suchst du etwas Bestimmtes?“
„Ich, äh …“, sagt Daniel. „Ich … nein, danke. Ich wollte mich nur mal umsehen.“
„Bitte sehr.“ Der Buchhändler lächelt. Er sieht nett aus, mit einer goldenen Brille und weißen Strähnen in den Haaren,
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