Flieh solange du kannst
gleich wieder da”, sagte er und verließ das Zimmer.
Vor allem verabscheute er sich selbst.
9. KAPITEL
K aum war Preston losgegangen, um den Lieferwagen in die Werkstatt zu bringen, machte Emma sich daran, die Kohlehydrate auf Max’ Teller zu zählen und bereitete dann seine morgendliche Dosis Insulin vor. Eigentlich waren die Nadeln nur für den einmaligen Gebrauch bestimmt, aber heute legte sie sie nach dem Gebrauch wieder in den Behälter zurück. Wenn alles schiefging und sie heute keine Gelegenheit bekäme, Ersatznadeln zu beschaffen, müsste sie die gebrauchten wieder benutzen. Denn Insulin gab es nicht in Tablettenform. Auch die Teststreifen gingen zur Neige, sie besaß nur noch zwei, und die würden nicht einmal mehr für den heutigen Tag ausreichen. Also musste sie sich so bald wie möglich um Nachschub kümmern.
“Kann ich noch einen Donut haben?”, fragte Max, während er sich den Puderzucker an den Fingern ableckte.
Emma schüttelte den Kopf. Er hatte bereits mehr Kohlehydrate zu sich genommen, als normalerweise zum Frühstück erlaubt waren. Schon jetzt müsste sie seine Insulindosis erhöhen. Trotz ihrer Instruktionen hatte Preston Donuts und Waffeln gebracht, außerdem Erdbeeren mit Schlagsahne und keinen zuckerfreien Sirup.
“Lass doch, Emma”, sagte er sanft. “Wir werden den ganzen Tag unterwegs sein. Ein Donut mehr wird ihn auch nicht umbringen.”
Was wusste er denn schon? Beinahe hätte sie ihm von Max’ Problem erzählt. Aber in diesem Moment grinste Max sie fröhlich an, weil Prestons Großzügigkeit ihn über die Maßen freute. Also schwieg sie lieber. Sie wollte Max nicht zusätzlich belasten, er sollte Vertrauen gewinnen und sich nicht wegen seiner Krankheit noch mehr von Preston entfremden, den Max’ Anwesenheit ohnehin verunsicherte. Sie beschloss, das Thema erst einmal ruhen zu lassen, jedenfalls so lange, bis die Stadt hinter ihnen lag.
“Was machst du da?”, fragte Max.
Emma hatte den Telefonhörer zweimal abgenommen und wieder aufgelegt, ohne zu wählen. Sie hätte gern bei Rosa angerufen, um herauszufinden, ob es Neuigkeiten von Juanita gab. Aber sie fürchtete, nur schlechte Nachrichten zu hören. Ihr Leben glich momentan ohnehin einem Drahtseilakt. Ein Blick in den Abgrund konnte bedeuten, dass sie das Gleichgewicht verlor. Außerdem hatte sie überhaupt keinen Einfluss auf das, was in ihrem ehemaligen Haus geschah.
Oder vielleicht doch? Sie kramte den Umschlag von Juanita aus ihrer Handtasche und starrte auf die Liste mit den Namen und Nummern. Ob die Informationen darauf ihrer Freundin irgendwie helfen könnten, wusste Emma nicht, aber vielleicht war es ja möglich, sie in diesem Sinne einzusetzen. Der Gedanke daran erfüllte sie wieder mit Hoffnung.
“Was ist das, Mommy?”, fragte Max.
“Nichts Wichtiges, Liebling.” Sie steckte ihren Sohn in die Badewanne, damit sie Rosa anrufen konnte. Dann wählte sie die Nummer von Juanitas Schwester. Die Kosten des Anrufs müsste Preston mit der Zimmerrechnung bezahlen, aber sie wollte ihm sowieso etwas Geld geben. Sicherlich wäre er einverstanden, wenn sie ihm versprach, die Kosten zu tragen.
Rosa ging sofort ans Telefon, als hätte sie direkt danebengesessen und auf den Anruf gewartet.
“Rosa, ich bin’s”, sagte Emma, während sie hörte, wie Max im Hintergrund mit seinen Action-Figuren spielte.
“Vanessa? Geht es Ihnen gut?”
“Ja, warum?”
“Ich habe gestern Abend mit Manuel gesprochen. Er hat behauptet, er hätte Sie gefunden und würde Sie bald wieder nach Hause holen.”
Emma spürte, wie ihr das Blut in den Adern gefror. Ohne Preston hätte Manuel sie längst erwischt. Und die Gefahr war noch nicht gebannt.
“Er hat mich noch nicht gefunden”, sagte sie. “Aber ich fürchte, das kann sich bald ändern. Wo war er denn gerade, als Sie mit ihm gesprochen haben?”
“Die Nummer auf meinem Display fing mit sieben-sieben-fünf an.”
“Das ist die Vorwahl von Nevada.”
“Ich weiß. Ich habe gleich nach dem Telefonat bei der Auskunft angerufen und nachgefragt. Die Vorwahl gilt für den ganzen Bundesstaat, also kann ich Ihnen leider nicht genau sagen, von wo er angerufen hat.”
Vielleicht von diesem Ort, vielleicht nur eine oder zwei Straßen von hier entfernt. Emma strich sich über den Arm und bekam eine Gänsehaut.
Max schrie: “Tauchen, tauchen!”
Sie stand kurz auf, um einen Blick ins Badezimmer zu werfen. Das Telefon behielt sie in der Hand. Max ließ gerade einen Soldaten
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