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Flieh Wenn Du Kannst

Flieh Wenn Du Kannst

Titel: Flieh Wenn Du Kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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widerlich schwüle Duft allzu vieler Blumen, wie sie sofort erkannte, als sie die letzte Stufe erreichte und durch den Flur zu ihrem Zimmer ging. Von irgendwoher hörte sie gedämpfte Rockmusik.
    Sam war im Bad und tapezierte die Wände. Sie erkannte die Tapete sofort – diese schreckliche, dunkle Tapete, mit der sie aufgewachsen war; diese Tapete voller üppig wuchernder Blumen, die herabzufallen drohten, um sie lebendig zu begraben.
    »Was tust du da?« fragte sie scharf. »Reiß sofort diese Tapete wieder herunter.«
    »Das kann ich nicht«, erwiderte Sam ruhig. »Sie will sie haben.« Er deutete zum Bett.
    Langsam folgte Bonnies Blick seinem Finger. Elsa Langer saß, von Kissen gestützt, im Bett, ihren Blick starr auf Bonnie gerichtet, als diese sich ihr näherte. Doch je näher Bonnie dem Bett kam, desto undeutlicher wurden Elsa Langers Gesichtszüge. Sie verschwammen und lösten sich schließlich in nichts auf. Als Bonnie endlich das Bett erreichte, hatte die alte Frau überhaupt kein Gesicht mehr, es war, als wäre die gesichtslose Frau auf der Dali-Lithographie lebendig geworden.
    Oder war sie tot? dachte Bonnie und fuhr mit wild klopfendem Herzen in die Höhe, als sie die Rockmusik realisierte, die jeden Winkel um sie herum füllte. Sams Stereoanlage, erkannte sie erleichtert und sah zum Fenster, hinter dem der Vollmond leuchtete. Vielleicht war der Mond die Ursache für all diese sonderbaren Träume, die sie heimsuchten. Wenigstens bin ich nicht wieder im Schlaf herumgegeistert, dachte sie und erinnerte sich, daß sie, als sie das letzte Mal geschlafwandelt war, in Laurens Alter gewesen war. Ihre Mutter hatte sie schlafend, mit einer gepackten Reisetasche neben sich, an der Haustür gefunden. Das war gewesen, kurz nachdem ihr Vater weggegangen war.
    Bonnie hörte Rumoren, fremde Stimmen, Gelächter im Flur. Die Musik wurde lauter.
    »Sam?« rief sie. »Sam, bist du das? Was ist los?«
    »Es ist nicht Sam«, sagte jemand in der Tür zu ihrem Zimmer. Sie sah eine große, schlanke Gestalt, muskulöse Arme, die in Schulterhöhe ausgestreckt waren. Sie erkannte Haze, und der Atem stockte ihr, als sie die Schlange sah, die sich in seinen Händen wand. »Wie geht es Ihnen, Mrs. Wheeler?« Er kam näher.
    »Wo ist Sam?« fragte Bonnie.
    »Draußen. Er raucht eine.«
    Bonnie hörte Gelächter. »Was ist denn hier los?«
    »Sam hat ein paar Leute eingeladen«, erklärte Haze und zog die Schlange auseinander, als wäre sie ein Stück Seil. »Er sagte, Sie hätten nichts dagegen. Wir waren wirklich brav.«
    »Es geht mir nicht sehr gut«, sagte Bonnie. »Ich muß euch leider bitten zu gehen.«
    Haze trat zum Fuß ihres Betts, packte die Schlange beim Schwanz und schwang sie langsam hin und her.
    »Vorsichtig«, mahnte Bonnie. »Sie mag es nicht, wenn man sie fallen läßt.«
    »Ach was?« sagte Haze und fuhr fort, die Schlange wie ein Pendel hin und her zu schwingen.
    »Bitte, geh jetzt.« Bonnie bemühte sich, energisch und bestimmt zu sprechen. »Ich fühle mich wirklich nicht sehr gut.«
    »Was haben Sie denn mit Ihren Haaren gemacht?« fragte Haze und kam noch näher.
    Bonnie schloß die Augen. Bitte, gib, daß auch das nur ein Traum ist, dachte sie.
    »Haze?« rief ein junges Mädchen im Flur. »Wo bist du?«
    »Hier«, antwortete Haze und wickelte sich die Schlange wie einen Schal um den Hals, als er aus dem Zimmer ging. »Bis später, Mrs. Wheeler«, sagte er.
    Bonnie ging ins Bad und übergab sich.
     
    Kurz nach drei Uhr morgens läutete das Telefon. Bonnie tastete nach dem Hörer, drückte ihn ans Ohr, murmelte Hallo, wartete auf eine Antwort. Es geschah nichts. »Hallo«, sagte sie noch einmal und wollte gerade auflegen, als sie wieder dieses merkwürdige Klappern hörte, das ihr schon am Abend aufgefallen war. Wieder wurde danach die Verbindung unterbrochen.
    Sie sind in Gefahr, rief Joan aus dem Telefon. Sie und Amanda sind in Gefahr.
    Augenblicklich war Bonnie aus dem Bett und rannte durch den Flur zu Amandas Zimmer. Sie stieß die Tür auf und stürzte zum Bett ihrer kleinen Tochter, atmete erst auf, als sie sah, daß Amanda inmitten ihrer Stofftiere ruhig schlief. Sie gab ihr einen Kuß auf die Stirn und ging, bewußt ruhig atmend, wieder aus dem Zimmer. Was ist nur mit mir los? Ich benehme mich ja wie eine Wahnsinnige.
    Es war still im Haus. Die jungen Leute waren alle gegangen. Wenn sie überhaupt hier gewesen waren, dachte Bonnie, nicht länger fähig zu unterscheiden, was real war und was nicht.

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